Und die Gemeindeverwaltung ist weit weg

Andrew Henry Martin Scholtzes ungefüger Roman "Vatmaar"

Von Michael SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Korporal George Lewis ist ein hundertprozentiger Engländer und ein guter Soldat. Nachdem er seinen Abschied aus der Armee eingereicht hat, heiratet er eine Schwarze und findet nichts dabei, daß seine Kinder Mischlinge sein werden. Onkel Chai, der gemeinsam mit Lewis im Namen von Queen Victoria die Buren gejagt hat, der Farmhäuser verbrannt und den erbeuteten Besitz zusammen mit dem Korporal teilweise unterschlagen hat, ist ein solcher Farbiger und hat trotzdem nach dem Ende des Krieges den Job eines Weißen erhalten. Er wird bei der Stadtverwaltung der Gemeinde Du Toitspan angestellt, auf Veranlassung eines britischen Hauptmanns, der nun als Direktor einer Diamantengesellschaft tätig ist und mit verläßlichen Leuten arbeiten will.

Gemeinsam gründen diese Männer auf dem Gelände eines Bergwerkes ein ärmliches Außenviertel, das armen "Cape Boys" eine Heimat bieten soll, Farbigen, die im Burenkrieg auf englischer Seite gedient haben. Der Platz wird "Vatmaar" getauft - das ist der Begriff, der für unterschlagene Beute gebräuchlich ist - und wird schnell zu einem Sammelpunkt für die "Braunen", für die Mischlinge aller Schattierungen, und sogar für einzelne verarmte Weiße. Niemand, der hierher kommt, hat Geld; man muß die Grundstücke auch nicht kaufen, sondern nur die Pflöcke, mit denen die Grenzen zur Nachbarparzelle bezeichnet werden. Anfangs gibt es keine Kirche, keine Polizeiwache und keinen Tanzsaal, es gibt bloß die Gemeinschaft all jener "Vielsortigen", die sich schon vor 1899 unter den Buren und nun unter den Briten mit der Herrschaft einer kleinen weißen Oberschicht abfinden mußten.

"Vatmaar" ist auch der Titel des Romans, der die Geschichte dieser Gemeinde vom Beginn des Jahrhunderts bis in die 20er Jahre erzählt. Das Original ist 1995 in Kapstadt erschienen; der Verfasser, Andrew Henry Martin Scholtz, war damals schon ein alter Mann; es handelt sich um sein erstes Buch und um eine der ersten in Africaans vernehmbaren Stimmen eines schwarzen Autors. Scholtz ist literarischer Autodidakt: Er hat zunächst nur Geschichten gesammelt und in Schulheften aufgeschrieben - und nach mehrjähriger Arbeit an dem Roman nochmal zwei Jahre auf den Druck warten müssen. "Vatmaar" ist eine Bilanz von erlebter Diskriminierung, wenn auch gemildert durch den Blick zurück in eine weit entfernte Zeit: Scholtz wuchs unter Farbigen auf, gehörte aber im Zweiten Weltkrieg zu einer weißen Einheit, die in Nordafrika gegen die Deutschen marschierte. Die Jahrzehnte nach dem Burenkrieg bis zur Erlangung der Unabhängigkeit von Großbritannien auf den Commonwealth-Konferenzen nach 1926 sind die Zeit einer eher noch formlos diskriminierenden Gesellschaft. Es gibt zwei Sorten Weiße, Briten und Buren, und vielerlei Farbige; aber es gibt noch nicht die Apartheid, die die Trennung 1948 zum Gesetz erhebt. Vatmaar ist der Spiegel dieser Entwicklung: mit dem Tode alter Gemeindemitglieder und mit dem Wegzug junger Paare um 1928 deutet sich im Roman das Ende dieser Epoche an.

Der Roman ist, gemessen an verbreiteten europäischen Standards, eher ein ungefüges Buch, zusammengepuzzelt aus weitschweifigen Erzählungen von Frauen und Männern, aus einzelnen Geschichten und aus dem Wissen um die überkommene Kultur der "braunen" Bevölkerung. Der Einfluß mündlicher Erzählweisen ist nicht zu übersehen; und schon der Autor selbst hat sein Manuskript nicht nur in einer Sprache verfaßt: Der Text in Africaans wurde von Scholtz mit englischen Passagen versetzt, die dann für den Druck wieder rückübersetzt worden sind. Für die deutschsprachigen Leser enthält die vorliegende Übersetzung von Arnold Blumer ein kleines, nützliches Glossar; einige Passagen werden auch in englischer Sprache wiedergegeben - immer dort, wo die Briten zu Wort kommen, die nicht aus dem Land stammen und Fremde bleiben, anders als die Buren, deren Herrschaft unerträglich ist, mit denen man aber über Generationen die geographische Herkunft teilt - und deren Sprache man sich anverwandelt.

Titelbild

Andrew Henry Martin Scholtz: Vatmaar. Aus dem Afrikaans von Arnold Blumer.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
416 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3630870236

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