Man hatte von etwas genug, das man als Leben ertrug

Melancholie galore bei Krolows letzten Gedichten

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie ein zerbrochener Spiegel reflektiert Karl Krolow in den aus dem Nachlass des vor drei Jahren gestorbenen Lyrikers stammenden Gedichten nach allen Seiten hin sein Leben und sein Vergehen. Das Leben in all seinen Facetten wird ausbuchstabiert und findet durch das klare, ernste aber herrlich virtuose Dichtungswerk Krolows seinen Widerhall. "Im Diesseits Verschwinden" ist diese posthume Publikation betitelt und Krolow taucht tatsächlich noch einmal ein in diese Welt, um die eigene Distanz zu dieser zu konstatieren und das eigene Ableben vorzudenken. Natürlich ist diese veritabel morbid angehauchte Dichtung nicht charakteristisch für den ganzen Schatz, der geborgen wurde aus den Aufzeichnungen dieses Nestors der deutschen Nachkriegslyrik.

In den nach Entstehungszeitpunkt geordneten Gedichten hat man das Gefühl eine Chronik der letzten drei Jahre mit all dem natürlichen Gefühlsschlingern nachvollziehen zu können. Jede emotionale Schlagseite, alles Rudern um den Boden unter den Füßen findet Niederschlag in dieser Lyrik, die sehr ausgewogen das Finale seines Lebens repräsentiert. Jede Häutung, die erwächst aus der Fluktuation der Leidenschaften macht sich kenntlich. Die Schwankung der innerlichen Befindlichkeit ist dem Leser zugänglich und die Einfühlung ist ein bedürfnishafter Reflex, ein Automatismus. Wenn durch die traurige Grundstimmung leichte Ironie durchbricht, er sich in "Blühen" oder bei "Hoher Mai" des klassischen Frühlingsgedichts bedient und mit gehauchtem Witz zart bricht, dann lebt man wieder auf. Krolow bemüht keine kryptischen Reimgebilde oder unverständlich und unverdaulich anmutende Avantgardekonstrukte. Die Nachvollziehbarkeit, die Genießbarkeit seiner Kunst scheinen ihm angelegen zu sein, was nicht zuletzt durch seine in Gebrauch genommenen klassischen Reimschemen eingelöst wird. Er möchte in seiner Welt erschlossen werden, erschlossen werden können. Diese präsentiert er, ohne eine Spur von Patina erkennbar werden zu lassen, häufig als die eines mit der Welt Abschließenden. Ganz und gar nicht abschließend jedoch ist seine Beziehung zum Leser. Die Bemühung Anschlussmöglichkeiten zu geben, das Werk zum vielfach erschließbaren Material zu machen, ist evident. Die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit macht er so umgreifend transparent, dass sie für jeden Embryo greifbar scheint. Wie er in all seinen früheren Gedichten den Gegenständen, seinen Themen Atmung verlieh, Leben einhauchte, gelingt es ihm hier durch seine intensive Schilderung der Abschiedsgefühle, den Erstickungstod seiner Leser durch die Erzeugung des so vielzitierten Kloßes willentlich in Kauf zu nehmen.

Wo bei Krolow in seinen Liebesgedichten, seinen Naturbeschreibungen, immer eine anmutige Leichtigkeit anzutreffen ist, die luftig Erfrischung verschafft und erheitern konnte, ist die Erzeugung einer gewissen Schwere in seinen Reimen vom Tod wohl seiner zehrenden Krankheit und seinem leidenden Sein geschuldet. Der Grundton ist hier nicht mehr durchgängig locker und verspielt, ein polyphones Gepräge erhält das Buch allerdings durch die Natur des Menschen, der nicht nur eine Richtung denkt und fühlt. Seine Worte erfüllen ihre Funktion in der Reaktion auf sein Leben, auf seinen Wahrnehmungshorizont. Deshalb ist dieses Buch so ehrlich und persönlich. Die Poesie erscheint als Expedition nach Wahrheit.

Dem Autor, der die nicht "verwundene Schönheit der Dinge" (Robinson Jeffers) immer im Herzen trug, merkt man den Schmerz an über die nicht mehr lange zu genießende Welt. Mit "Überwindung der Schwermut" war eine ältere Gedichtsammlung betitelt, doch eben dies will ihm nicht mehr immer überzeugend glücken.

Wenn man sich der aphoristischen Sentenz anschließen möchte, dass Gedichte nichts anderes sind als ein Spiegel der Zeit, dann hat man durch diese Sammlung einen sehr ergreifenden Einblick in die persönliche, finale Zeit eines der ganz großen deutschen Lyriker des 20. Jahrhunderts bekommen. Die solcherweise vermittelte Intimität behält stets einen gravitätischen, unaufgeregten Charakter, und auch deshalb ist sie niemals aufdringlich.

Ein Diarium, das alles weiß, das durch seine Authentizität in den Bann zieht und gefangen nimmt - in den Welten des Karl Krolow.

Titelbild

Karl Krolow: Im Diesseits verschwinden. Gedichte aus dem Nachlaß.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
221 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3518413066

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