Polygamie als Selbstzweck

Joseph von Westphalens "Liebessalat" hat ein fades Dressing

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, der verschmitzte Autor mit den eisgekühlten Weißweinen hat nicht etwa ein Kochbuch geschrieben. In seinem neuen Roman "Der Liebessalat" greift Joseph von Westphalen die Kunst des Seitensprungs auf - auch dies ein Thema, das ihn seit geraumer Zeit beschäftigt. Schon in den 80er Jahren legte der ironische Graf einen Essay unter dem Titel "Warum ich trotzdem Seitensprünge mache" vor.

Der Maxime, dass Institutionen existieren um hintergangen zu werden, folgt auch der Schriftsteller Viktor Goldmann. Der schmachtende Protagonist des "Liebessalat"-Romans braucht seine Seitensprünge, so heißt es, zwecks künstlerischer Inspiration. Leider erfahren wir viel von Viktor dem Fremdgänger, doch kaum etwas von Viktor dem Literaten. Angeblich fällt ihm ohne Frauen nichts ein; doch was aus seinen Ideen wird, scheint nach der Schilderung einer heißen Affäre nicht mehr erzählenswert. Eine neue Bekanntschaft ist ihm allemal wichtiger als eine perfekte Lesung oder eine geglückte Seite Prosa.

Weil die Libido dieses Machos gleich mehrere Nummern zu groß ausfällt, besteht sein Leben aus dem Versuch, erotische Wunschträume in die Wirklichkeit hinüberzuretten. Ob mit Susanne, Bettina, Beate, Ira, Ella, Rebecca, Christiane, Aza, Penelope, Tina oder Selma: Viktor betrachtet Frauen als "Optionen" und hält das Leben somit fur eine "Ansammlung schönster Optionen". Das Schlimmste wäre für ihn die Unfähigkeit "sich zu teilen, um dadurch sein Glück bei mehreren Frauen gleichzeitig versuchen und obendrein seiner Ehefrau zur Verfügung stehen zu können". Es verwundert kaum, dass die Frauengestalten in diesem Roman nie echtes Profil gewinnen und sich durch die Brille des Erzählers betrachtet nur durch die Äußerlichkeiten ihrer erotischen Anziehungskraft unterscheiden - "je ordinärer, unbürgerlicher und unverheirateter sie wirkten, desto besser".

Dabei scheint Joseph von Westphalen verdrängt zu haben, dass Oswalt Kolle den Seitensprung schon in den 60er Jahren als belebendes Element der modernen Ehe propagiert hat. In einem Zeitalter, da außereheliche Sexualpraktiken in Nachmittags-Talkshows "ausdiskutiert" werden, lässt sich das bürgerliche Werte- und Tugendsystem nicht mehr so leicht erschüttern wie früher. Drohen Viktor bei Verzicht auf seine Fremdgänge "kulturbürgerliche Erstickungsanfälle", so langweilen sich selbst die vermeintlichen Spießer unter den Westphalen-Lesern ob der harmlosen Plattheiten seiner Affären.

"Er rauchte, nicht weil es ihm schmeckte, sondern weil man hier rauchen durfte", heißt es an einer Stelle über den Helden. Wie mit dem Rauchen, möchte man hinzufügen, geht es ihm auch mit den Frauen. Nicht eine einzige hat ihn zu der großen, genialen Liebesgeschichte inspirieren können, die er vorgibt, schreiben zu wollen. Im Gegenteil werden seine Romane von Filmleuten und Rezensenten nur milde belächelt. Das hindert den stets unbefriedigten Viktor nicht, seine Suche fortzusetzen. Schließlich artet das stressige Durcheinander seiner Liebebeziehungen zum polygamischen Selbstzweck aus.

Natürlich muss ein Roman nicht in politischem, feministischem oder sonst einem Sinne korrekt sein. Es ist erlaubt, einen erwachsenen Dichter zu zeigen, der Männerphantasien kultiviert, Altherrenwitze reißt und sich ansonsten wie ein pubertierender Teenager verhält. Problematisch wird ein solches Verfahren nur, wenn sich über fast 500 Seiten kaum ein Signal der Distanz findet und man zum Schluss den Eindruck gewinnt, als sei der Ich-Erzähler zumindest in Teilen mit seinem stark sympathisierenden Autor identisch.

Es ist es schade, dass Joseph von Westphalen mit diesem langen Roman so schrecklich auf der Stelle tritt. Selbst das einstige Markenzeichen des Entrüstungs-Experten lässt sich kaum noch erkennen: Die spitze Feder seiner frühen kulturkritischen Essays ist ganz offensichtlich verstumpft, die lauten Schimpfkanonaden seiner Polemiken sind verhallt. Noch sein jüngster Millenniumsroman "Warum mir das Jahr 2000 am Arsch vorbeigeht" ließ sich als wunderbare Satire auf die heutige Gesellschaft lesen. Im "Liebessalat" kehrt dieser Geist nur in einer bei Dichterlesungen revoltierenden Alten und in einer herrlichen Ansicht von sinnarmen Handlungsreisenden im Intercity wieder.

Joseph von Westphalen bildet sich seit Jahren ein, vom Feuilleton zum Außenseiter des Literaturbetriebs gemacht worden zu sein. So hat er auch diesem neuen Roman eine Pressemitteilung beigefügt, die an Larmoyanz kaum zu übertreffen ist. Hätte er tatsächlich, wie der Klappentext annonciert, "eine wunderbar aberwitzige und turbulente Komödie" geschrieben, könnte man ihm diesen Verzweiflungsakt leichten Herzens verzeihen. Doch bedauerlicherweise liegt hier ein überaus langatmiger Roman vor, dessen schmachtende Balzrufe ein dünnes, bisweilen gefährlich schwankendes Handlungsgerüst ergeben. Zudem bleiben die Charaktere durchweg statisch und gewinnen kaum an Konturen. Immerhin trägt eine klare, schnörkellose Sprache das Geschehen. Und durch die filmische Erzählweise kann man sich durchaus vorstellen, dass aus diesem Roman irgendwann einmal eine ganz unterhaltsame Fernsehkomödie wird. In Buchform hingegen versteht sich Westphalens "Liebessalat" zwar auf Anmache, hat aber ein denkbar fades Dressing.

Titelbild

Joseph von Westphalen: Der Liebessalat. Roman.
Goldmann Verlag, München 2002.
479 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3442750679

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