Eigenmächtigkeit

Jürgen Serke zur DDR-Literatur

Von Bernhard SetzweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Setzwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er wollte wohl jede Anspielung auf den belasteten Begriff der "In-neren Emigration" ver-meiden, und so wählte er das Oxymoron "Zu Hause im Exil". Denn anders als jene Autoren, die während des Dritten Reiches in Hitler-Deutschland geblieben waren und es sich in einer doch meist etwas anrüchigen "inneren Emigration" ein-richteten, die in den meisten Fällen ungehindertes Weiterpublizieren miteinschloß, will Jürgen Serke an den 15 von ihm ausgewählten Autorinnen und Autoren der ehemaligen DDR das gerade Gegenteil zeigen, daß nämlich sie viel-leicht gerade die wahren Helden ge-wesen sind, eben weil sie blieben, "eigenmächtig", wie es im Un-tertitel heißt. Was genau das bedeuten soll? Daß sie die eigene Un-versehrheit (drei der vorge-stell--ten fünfzehn begingen Selbstmord!) preisgaben zugunsten einer größeren literarischen Wahrhaftigkeit. So jedenfalls sieht es Jürgen Serke und benennt es in seinen Worten folgendermaßen: "Sie stan-den am Rande des SED-Staates, aber mit-ten in der Gesellschaft. Sie starben eher, als daß sie die eigene Le-benslandschaft aufgaben."

Allein die Frage, die sich bei fortschreitender Lektüre dieses wieder (wie immer bei Serke) mit immensen Rechercheaufwand geschrie-benen (und bebilderten!) Buches stellt: Sind diese 15 unterschied-lichen Biographien und literarischen Œuvres wirklich miteinander vergleichbar und auf eine "gemeinsame Unterstimme", nämlich die der "Bewahrung von Heimat gegen alle Zerstörung" hinzutrim-men? So wäre zum Beispiel intensiver danach zu fragen gewesen, warum der jeweils einzelne im Land geblieben ist und welche Existenzbedingungen er, gerade auch als Autor, dabei vorgefunden hat. Wenn man so fragt und genauer hinschaut, ist dann Heinz Cze-chowski wirklich mit Richard Leising zu vergleichen, wo doch er-ste-rer im Mitteldeutschen Verlag in schöner Regelmäßigkeit seine Ge-dichtbände veröffentlichen durfte, wäh-rend letzter lediglich ein einziges kleines Bändchen zu DDR-Zei-ten veröffentlichen konnte, "Poesiealbum 97".

Daß das vielleicht auch mit Leisings li-te-rari-schen Qualität zusam-men-hängt (ähnliches ließe sich von dem auch nach der Wende nicht aufgeführten Dramenautor Klaus Roh-leder sagen), diesen Ver-dacht läßt Serke unter keinsten Um-ständen in sich aufkommen, wie er denn über-haupt an seinen Helden der Eigenmächtigkeit jeg-liche literaturkri-tische Dif-ferenzierung vermis-sen läßt, sie sind ein-fach al-le verkann-te Meister für ihn, obwohl die exzessiven Lese-proben, die Serke gibt, das keineswegs in allen Fällen überzeugend belegen. Sarah Kirsch mag ja recht haben, wenn sie über Leisings einzigen Gedichtband "Poesiealbum" sagt, jedes der Gedichte hätte für drei Jahre Bautzen gereicht, aber den-noch wird man doch fragen dürfen, was an einem auf Walter Ul-bricht gemünzten Gedicht mit dem Titel "Vom alten Weibe" heute noch ,unerhört' sein soll: "Das alte Weib redet wie ein altes Weib quäkend / Wenn das alte Weib wie ein altes Weib schrill / Auf uns einredet und alles / Besser weiß..."

Ganz klar, daß Thomas Rosenlöcher dagegen ein ganz anderes Ka-liber ist. Seine Lyrik, die allerdings auch schon zu DDR-Zeiten er-scheinen konnte, zählt sicherlich zum Interessantesten, Feinsten und Subtilsten, was überhaupt derzeit in dieser Gattung geschrieben wird. Die "Würde des Hierbleibens", das, was für Serke die von ihm so herausgestrichene heroische Eigenmächtigkeit ist, billigt Rosen-löcher aber freimütig eher seinem Vater zu als sich. Der war näm-lich als "Kleinkapitalist" von Anfang an und sein Leben lang ein "Kommunistenhasser"... und blieb trotzdem. Rosenlöcher, Jahrgang 1947, mußte sich von der "DDR-Wut" seines als rechthaberisch emp-fundenen Vaters erst einmal absetzen und dem von ihm be-schriebenen "Nickmecha-nismus", der alles bejaht, selbst verfallen. Absoluter Tiefpunkt die-ser Systemgläubigkeit gepaart wahr-schein-lich auch mit schlichter Angst war seine Unterschrift als Student in eine Liste, die den Raus-schmiß Wolf Biermanns aus der DDR gut-hieß. "Was ich glaubte, war, daß es jetzt noch nicht so darauf an-käme. Daß ich noch jung wäre und folglich Zeit hätte. Infantilität als Maske."

Was ist an dieser Biographie des Thomas Rosenlöcher vergleichbar mit der der Lyrikerin Inge Müller, Heiner Müllers Ehefrau und Co-Auto-rin einiger seiner Stücke? Kann man ihren Selbstmord 1966 wirklich in einen Zusammenhang bringen mit dem Freitod Theo Harychs, eines Autors finsterer Heimatromane? Im Grunde wird Jür-gen Serke Opfer seiner wahrscheinlich vorgefaßten These, die er nun auf Teufel komm raus exemplifizieren muß, nämlich die These, daß es da "eigenmächtig in der DDR gebliebene" Autoren gab, die "zu Hause im Exil an einer Literatur schrieben, die sich als Faden in einen europäischen Literaturteppich einfügt". Natürlich ist es, in Serkes Auge, die bessere, wahrere und größere Literatur (die zudem noch, unausgesprochen, Autoren wie Stephan Hermlin, Christa Wolf und Stefan Heym vom Sockel holen soll). Serke geht sogar soweit, sie mit Handke, Achternbusch, Gerold Späth und Bohumil Hrabal in eine Reihe zu stellen. Schon diese Zusammenstellung wie--derum zeigt, daß Serke bedenklich verzerrt. Letzten Endes kann so seine Ehrenrettung mißachteter Autoren, die ja an sich durchaus respektabel wäre, leicht als Schuß nach hinten losgehen. Hätte er einfach nur ihre Biographien und ihr Werk vorgestellt, ohne groteske Größenvergleiche und ohne diese sich nicht als tragfähig erweisende These der "Eigenmächtigkeit", er hätte ihnen einen größeren Dienst erwiesen und ihr Exil im eige-nen Hause womöglich eher beendet.

Titelbild

Jürgen Serke: Zuhause im Exil.
Piper Verlag, München 1998.
475 Seiten, 30,20 EUR.
ISBN-10: 3492039812

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch