Pointen sichten im Häppchenmeer

Heiner Link lässt Gedanken zu seinem Jahrtausend vorbei rauschen

Von Monika von AufschnaiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika von Aufschnaiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Umschlagfoto suggeriert Tiefsinnigkeit: Da steht der Autor mit Sonnenbrille, Shorts und Polohemd auf einer wackligen Plattform und blickt in Navigatorpose auf die Weiten des Meeres hinaus. Quer über die Knie ist "mein jahrtausend" gedruckt und unterhalb des Autorennamens hängt in den Wolken ein beunruhigender Cursorpfeil. Zahlreiche Interpretationen bieten sich an, etwa: Das Bild zeigt Heiner Links Weitblick, seine Sehnsucht nach dem Verlassen seines Gedankenmeers und das Spannungsverhältnis zu seinem Jahrtausend, das sich - auf Kniehöhe hängend - seinem visionären Blick (oder Click) entzieht. Erwartet den Leser im Buchinneren womöglich Dramatisches?

Aber nein. Wer Heiner Link aus seinen früheren Büchern ( z. B. "Trashpiloten", "Hungerleider") kennt, weiß, dass es auch in diesem Buch nicht verkrampft und tiefsinnig, sondern locker und entspannt zugeht. Vor allem, weil die Texte und Bilder diesmal in erster Linie als Häppchensammlung für das Internet gedacht waren, wo sie zwischen Mai 1999 und 2000 veröffentlicht wurden. In dieser Zeit berichtete der Münchner Autor auf www.heinerlink.de von Besuchen im HL-Markt, verglich die Reichweite des Seifenspenders mit der einer Ejakulation, postete Listen seiner Lieblingssendungen, -getränke und seine liebsten Gedichte. Das "Buch zum Netz" besteht nun aus zwei Teilen: Dem "Album" mit Bildern und Kommentaren zu Fernsehsendungen, Kunst, Mode und Familie und einem Internet-Tagebuch mit dem Titel "Die Banalität des Prolligen - eine Begleiterscheinung"; laut Klappentext ein "mehrstimmiges Journal", das "die lang erhoffte Antwort auf die ewigen Fragen bringt, was Autoren tun, wenn sie gerade nicht schreiben". Unsere Neugier befriedigt Heiner Link mit Gedanken zu Schriftstellerdasein, Alkohol, Lyrik, Politik und Haushaltsführung. Damit das nicht eintönig wird, fordert er andere Schriftsteller auf, ihm auch mal was zu schreiben. Kollege Georg M. Oswald aber meldet sich nur dann, wenn er gerade etwas Erzählenswertes auf Lager hat - schließlich ist es nicht seine Website. Und was tun Norbert Niemann und Helmut Krausser? - Sie geben mit einer Handvoll Kommentaren die "Begleiterscheinung".

Von der großen Mehrstimmigkeits-Ankündigung des Klappentexts sollte man sich also nicht täuschen lassen; "Die Banalität des Prolligen" ist zum Großteil ein Soloauftritt Heiner Links, denn "ein Dichter hat eben auch ganz schön viel zu erzählen und am meisten über sich." Um die Jahrtausendwende geht es in den Texten nur insofern, als ihr - bewusst - keine einzige bedeutungsvolle Zeile gewidmet wird. Wenn Link seine handliche U-Bahn-Lektüre mit "mein jahrtausend" betitelt, ist das als Seitenhieb auf Günter Grass und sein Jahrhundert zu werten. Mit Weltliteratur, die im Gegensatz zu seinen Texten "auf einen Plot hingezeichnet" verläuft und keine "unvorhergesehene Gestalt des Textes" zulässt, will der 49-jährige Autor nämlich nichts zu tun haben. Schließlich erwartet sein Publikum etwas anderes.

Wer sich als Leser an Alltags-Collagen und (ironischen) Beschreibungen von Banalitäten erfreuen kann, wird mit diesem Buch - ebenso wie Heiner Link-Fans - gut unterhalten. Versucht man jedoch, Link wie Max Goldt zu lesen, wünscht man sich statt der zahlreichen Gedichtzitate mehr Pointen und Zynismus. Engagierte Leser können die These prüfen, "mein jahrhundert" sei in Wirklichkeit eine Parodie auf andere, noch nichtssagendere Texte von Popautoren wie etwa Rainald Goetz. Außer Heiner Links Behauptung, dass Goetz' Pool-Gedichte (und vermutlich auch Internet-Tagebuch "Krank") "Scheiße" sind, werden sie aber kaum Beweise finden. Konsequenter Weise müsste Link nämlich seinen niveaulosen, langweiligen Popliteratur-Kollegen mit niveauvollen, unterhaltsamen Texten zu Leibe rücken - und dafür ist er selbst zu poppig.

Nach eingehender Prüfung erweist sich der anfängliche Verdacht, der Autor wolle uns mit seinem Bewusstseins- und Assoziationsstrom 1999-2000 etwas Tiefsinniges mitteilen, als völlig haltlos. Heiner Link findet es nämlich "schön, wenn auch mal etwas einfach so dahinrauscht."

Deshalb also das große, weite Meer auf dem Umschlag.

Titelbild

Heiner Link: Mein Jahrtausend.
Residenz Verlag, Salzburg 2002.
224 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3701712727

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