Eine Frau ist immer auch eine Hexe

Ein Krieg der Männerphantasien gegen die Frauen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Walpurgis 1999 sind in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel drei Reden gehalten worden - sehr unterschiedliche. Eines haben sie jedoch unverkennbar gemeinsam. Es sind Hexenreden. Darüber, daß dieser Begriff mehr meint, als über Hexen zu reden, könnten sich die Vortragenden sicher einigen. Allerdings sind die näheren Sicht- und Zugangsweisen auf das Thema sehr unterschiedlich. Schon die Frage, was eine Hexe ausmacht, wird verschieden beantwortet; ob Frauen sich nämlich das Hexensein erringen müssen oder vielmehr durch Männerphantasien zu Hexen stigmatisiert werden. Dennoch besticht jeder der Vorträge auf seine Art und kann zur Lektüre uneingeschränkt empfohlen werden.

Zunächst nähert sich Gisela von Wysocki nicht ohne feine Ironie und Inspiration dem Skandalon der Hexen(-Verfolgung), das ebenso in ihrer Geschichte liegt wie in ihrem "Happy End". Wysockis Kritik gilt der Domestizierung, ja Vereinnahmung dessen, was heute durch Gesellschaft und Internet-Seiten geistert, seinerzeit aber noch Element hexenhafter Subversion gewesen wäre. Doch erklingen andernorts erneut die Stimmen der "Hexinnen", wie die von Maria Callas, Cathy Berberian und Diamanda Galas. Andere haben ihr Versteck im geheimen Ort des Wortes gefunden: "Im ungefügen Sprachkunstwerk haben sie ihr Haus bestellt." Sie seien die "heimlichen Täterinnen", deren "verderblicher Einfluß" Gisela von Wysocky ihre "wunderbarsten Gedanken" geschenkt habe.

Als zweite berichtet Birgit Vanderbeke mit schalkhaftem Witz und leiser Melancholie von ihren persönlichen Begegnungen mit Hexen. Die erste hat bereits während ihrer Kindheit in der trostlosen Umgebung preußischen sozialen Wohnungbaus stattgefunden. Dort wohnt nämlich die alte Frau Köhler, die ihren debilen Enkel hütet, während seine Mutter arbeitet. Eine Hexe zweifellos, mit gichtigen Fingern zudem. Birgit Vanderbeke ist ganz sicher: "Diese erste Hexe hat meinem Leben eine Richtung gegeben, die für mich nicht vorgesehen war." Davon und von ihren anderen wunderbaren Begegnungen mit Hexen erzählt Vanderbeke. Bis sie schließlich selber eine geworden ist.

Marlene Streeruwitz übt zunächst heiter-hexische Metakritik am Betrieb der Literaturkritik, feinsinnig und harsch. Allerdings verwirft die Autorin diesen Zugang bald als unpolitisch, sogar als reaktionär. Den nachvollziehbaren Grund hierfür erfährt man schnell, wenn sie sich dem "Krieg der Männerphantasien" gegen die Frauen zuwendet, deren Körper das Schlachtfeld der männlichen Folterer ist. Eine Frau ist immer auch eine Hexe, so Streeruwitz. Und Hexe, das ist für die Autorin eine "jederzeit abrufbare" Stigmatisierung durch patriarchalische Macht, der es zu entkommen gilt. Sie hat recht, wenn sie sagt, daß dieser Krieg gegen die Hexen noch nicht zu Ende sei. Deshalb erscheint ihre Feststellung, das "Appolinische" habe endgültig gesiegt, auch zu pessimistisch. Solange der Krieg stattfindet, steht sein Ausgang nicht fest, also auch nicht Siegerin und Besiegter - so zumindest könnte man meinen. Doch ein Krieg kennt nur VerliererInnen. Daher ist der große Befreiungsschlag auch nicht als Sieg der richtigen Seite möglich. Was als Ausweg bleibt, ist vielmehr die Flucht aus der "Subjekt/Objekt-Grammatik", die der Täter/Opfer-Beziehung entspricht und sie festschreibt. Dieser Fluchtweg führt in eine "Neue Sprache", eine Subjekt/Subjekt-Sprache jenseits des Appolinischen und des Dionysischen. Diesem noch unbekannten Terrain nähert sich Streeruwitz' Rede vorsichtig aber doch gewagt. Man wünscht sich, daß sie es in künftigen Texten noch genauer erkunden wird.

Titelbild

Gisela von Wysocki: Hexenreden.
Wallstein Verlag, Göttingen 1999.
29 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3892443726

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch