"I'm feeling hunted, i'm feeling haunted”

Stuart David inszeniert nun auch literarisch die Flucht vor der Menschheit

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der eigentlich als Musiker bekannte Glasgower Stuart David präsentiert mit seinem Erstlingsroman "Wie Nalda sagt" ein märchenhaft-phantastisches Beispiel für sein künstlerisches Universalgenie. Nicht zuletzt ihm ist schließlich Glasgows Output an popkulturell relevantem Stoff zu verdanken: Als einer der Gründer und Bassist der famosen Band Belle & Sebastian und als Kopf des Multimediaprojekts Looper zeichnete David bereits vor seinem literarischem Schaffen für einige der bezauberndsten schottischen Kunstschöpfungen verantwortlich. Nun schickt er sich an auch Deutschland literarisch zu betören. Sich zu weiten Teilen einer kindlichen, simplen Sprache bedienend - übrigens ist auch der Bandname Belle & Sebastian nur eine Leihgabe der französischen Autorin Cecil Aubry und eigentlich Titel einer Kindergeschichte -, wird aus der Sicht des namenlos bleibenden Ich-Erzählers die geheimnisvolle Geschichte seines Lebens berichtet. Schon die Begründung des Verschweigens seines Namens ist der Schlüssel zu seinem Universum. Er befürchtet die Entdeckung seines Schatzes, was sein Leben gefährden würde. Was ihn zu dieser Annahme verleitet, ist die ihm wieder und wieder erzählte Schilderung eines Geschehens aus seinen frühesten Kindertagen. Es ist die Geschichte seines Vaters, eines Juwelendiebes, der sein und seines Sohnes darbendes Leben durch einen großen Coup beenden will. Plangetreu gelingt es ihm, den wertvollen Juwel zu ergaunern, er hat jedoch schon bald seine Verfolger und ihren Anteil einfordernden Komplizen sowie die Polizei auf den Versen. So wandert der Juwel kurzerhand in den Magen des kleinen Kindes und das Kind selber zu seiner Tante Nalda. Diese ist es auch, die ihrem Neffen ein kleines Paralleluniversum erschafft, indem sie ihm neben der Juwelenstory eine Menge weiterer Erzählungen zur Erklärung der Welt kolportiert.

"If there's one thing that I learned when I was still a child
It's to take a hiding
Yeah if there's one thing that I learned when I was still at school
It's to be alone"

Diese bittere Lehre, die B&S hier auf ihrem Album "Tigermilk" besingen ist eine, die auch der Protagonist aus den ihm vermittelten Informationen bezüglich seines Inneren und der bösen charakterlichen Beschaffenheit der meisten Menschen zieht. So gerät sein Leben zu einem artistischen Versteckspiel, aus Furcht bei Entdeckung seines Geheimnisses aufgeschlitzt zu werden. Jede Faser seines Körpers ist stets angespannt und zur Flucht bereit, wenn er wissende Blicke auf sich gerichtet fühlt oder glaubt, sich und sein Geheimnis verraten zu haben. Eine schüchterne Menschenscheue, eine Furcht vor der Gesellschaft anderer Personen füllt ihn so aus, dass sein Leben als ein Slalomlauf zur Umkurvung potentieller menschlicher Hindernisse erscheint. In seiner aus dem ausgebliebenen sozialen Kontakt resultierenden Unbeholfenheit und Unwissenheit - er war nie in der Schule, hat mit keinem außer seiner Tante Nalda geredet - erinnert Davids Held an Jerzy Kosinskis Chance the Gardener in "Being There". Auch unser Held ist Gärtner und lebt in seiner Fabelwelt, die, einmal von seiner Tante für ihn ersonnen, ihm als Realität erscheint. Er besitzt kein herkömmliches kulturelles oder soziales Kapital, was Ursache für einige Missverständnisse ist, aber gerade das macht ihn außergewöhnlich und interessant für andere. So bahnen sich zwischen ihm und Krankenschwester Marie - ein Krankenhaus ist beider Arbeitgeber - Gefühle an, die ihn erstmalig Vertrauen zu anderen Menschen fassen lässt. Die Liebe, die er Marie entgegenbringt, und das freundschaftliche Verhältnis, das er zu zwei anderen Hospitalsbediensteten entwickelt, bringt ihm zum ersten Mal in seinem Leben Freude am Umgang mit anderen Menschen. Paranoia und Misanthropie werden nicht abgelöst, aber zumindest verdrängt zu Gunsten der Sehnsucht nach dem gemeinsamen Lachen mit seinen neuen und ersten Freunden und einem aufgeregten Wohlgefühl bei Maries Anwesenheit. Der impulsive Triumph seines Misstrauens gegenüber seiner Liebe, der eine weitere Flucht zur Folge hat, gibt der Geschichte eine erneute Wendung. Samt seinem Juwel zieht er sich wieder zurück aus der zwischenmenschlichen Nähe und entscheidet sich für das Eremitendasein und für die Weltsicht seiner Jugend. Die kopernikanische Wende seines Lebens wird nicht vollständig vollzogen; schließlich wittert er wieder in jedem Menschen den Wolfscharakter, der nach seinem Vorteil trachtet. "Ich kenne mich nämlich aus mit den Leuten und weiß, dass alle bis auf ganz wenige alles in Stücke reißen würden, um an das zu kommen, was ihnen Gewinn oder Nutzen bringen würde."

So wie so viele Songs seiner ehemaligen Band Belle & Sebastian zum Weinen animieren, da einer ähnlichen Fremdheit zur Welt, einem ängstlichen Außenseitertum gehuldigt wird, so wird auch hier das Scheitern eines sympathischen Protagonisten zum tragischen Umstand. Er ist so gefangen in seiner Idee von der Welt, dass in seine Matrize des prototypisch schlechten Menschen auch jede ihm begegnende Figur passt. Durch seine kindliche Prägung ist die Kalibration seiner Instinkte so unerschütterlich und eingefahren, dass eine Emanzipation davon unmöglich wird. "Herr Reineke", dieser Spitzname wird ihm im Krankenhaus angetragen, ist "out of step with the world" und wird nie in den Rhythmus dieser Welt finden. Diese traurig-zarte Geschichte, zu der auch die leichte, naive Sprache passt, wird hoffentlich trotz ihres pessimistischen Ausblicks viele Anhänger finden, die an den Schatz in sich und den anderen glauben.

Titelbild

David Stuart: Wie Nalda sagt. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Esther Kinsky.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
192 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3821808756

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