Rein oder nicht rein?

Christoph Schlingensiefs Zürcher "Hamlet"-Inszenierung wurde dokumentiert

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Christoph Schlingensief ist wahrlich nicht der Johannes Rau der Kulturszene. Spalten statt Versöhnen steht ihm und seiner Arbeit als Slogan besser zu Gesicht und dennoch gilt er vielen Kritikern als einer der letzten aufrechten Moralisten. Er beobachtet genau, was die bundesrepublikanische Welt im Innersten zusammenhält, legt ihre Strukturen offen, denkt ihre Prozesse zu Ende. So nimmt er die Einverleibung der DDR durch die BRD allzu wörtlich und so handelt sein Wiedervereinigungsfilm "Das deutsche Kettensägenmassaker" (1990) folgerichtig vom Kannibalismus der Wessis. Er gründet zur Bundestagswahl 1998 die Partei "Chance 2000", gewinnt für sie namhafte Mitglieder wie Harald Schmidt oder Alfred Biolek und stellt das Programm unter das Motto: "Wähle Dich selbst". Oder er komplettiert den bundesdeutschen Quizboom mit dem abseitigen Ratespaß "Quiz 3000", das von Fragen lebt, die Günther Jauch niemals zu stellen wagte: "Wozu wurde das Haar verwendet, das den Opfern des KZ Auschwitz geschoren wurde?"

Schlingensief kocht seine scharfen Süppchen also immer nach dem gleichen Rezept: Die Zutaten findet er im notorischen Output von Medien, Gesellschaft und Politik. Diese wiederum zeigen sich erstaunt, wenn der Chef dann zu Tisch bittet: Das haben wir aber nicht bestellt! Für seine umstrittene Hamlet-Inszenierung mit aussteigewilligen Neonazis am Schauspielhaus Zürich ließ er sich von Otto Schilys grandiosem "Exit-Deutschland"-Programm inspirieren, jener vom Verfassungsschutz betreuten Einrichtung, die reuigen Rechtsradikalen einen demokratisch gesicherten Neuanfang nach Geheimdienstmanier (neuer Name, neue Adresse, neue Freunde) verspricht. Da in Deutschland Neonazis entweder beklatscht oder wie Aussätzige behandelt werden, lag es für den Regisseur nahe, die braune Brut einfach auf die Bühne zu stellen. Dort ist das Klatschen legitim und der Aussätzige darf wie in einer kultigen Freakshow neugierig begafft werden.

Die polternden Provokationen Schlingensiefs lassen sich ja nie vollständig auflösen, immer bleibt ein Rest von Zweifel daran, ob das, was man als Ironie interpretiert hat, nicht doch ernst gemeint war und vice versa. Bei Hamlet lag der Fall etwas anders. Nicht Schlingensief war der Undurchsichtige, sondern sein (ehemals?) braunes Personal, das sich aus Ermangelung schön brutaler Plattenbauskins auf den Szenestar Torsten Lemmer und Nazis aus seinem Düsseldorfer Umfeld beschränkte. Doch wer führte hier wen vor? War es nicht vielleicht doch so, dass die Rechten dem Linken den Paulus machten, während der Linke sich freute, dass er die Rechten nach Damaskus geführt hatte? Allen voran die zwielichtige Gestalt des "Düsseldorfer Stadtrebellen" und Sonnenstudiounternehmers Lemmers, der unter anderem als Manager für die Rechtsrockkapelle "Störkraft" bekannt geworden ist. In Sachen Selbstinszenierung steht er dem Regisseur jedenfalls in nichts nach. Er erklärt sich, um seinen Ausstiegswillen glaubhaft zu machen, dazu bereit, seinen 51-prozentigen Anteil am weltgrößten Vertrieb für rechtsradikale Musik dem Bundesinnenministerium zu veräußern. Bislang hat Schily jedoch noch nicht zugeschlagen, was vermutlich einzig der Sparpolitik Hans Eichels geschuldet ist.

Lemmer durfte auch einen großen Beitrag für die von Thekla Heineke und Sandra Umathum herausgegebene Dokumentation "Christoph Schlingensiefs Nazis Rein" verfassen. Das Buch wartet nicht nur mit einer Fülle von Briefen, E-Mails, Talkshow-Protokollen, Interviews und natürlich Bildern rund um die Inszenierung auf, sondern beinhaltet auch Beiträge von den üblichen Verdächtigen wie Dietrich Kuhlbrodt, Diedrich Diederichsen und Jens Roselt. Ein Lob muss hier der von "Kakoii" besorgten genialen (typo-)graphischen Gestaltung des Buchs gezollt werden, die die übliche Suhrkampklientel mit ungewohnt hippen optischen Reizen nachgerade überfordern könnte.

In Form eines Insiderberichts plaudert Lemmer für seine Verhältnisse recht differenziert aus der rechten Szene. Er zeigt sich vor allem angewidert von der dort herrschenden Doppelmoral bezüglich Themen wie Homosexualität, Drogenmissbrauch und Kriminalität. Wohlgemerkt: Er lehnt die inkonsequente Lebensführung der Rechten ab, von ihren Inhalten distanziert er sich nicht explizit. Am Ende steht dann ein Plädoyer für mehr Meinungsfreiheit und das schließe auch ein "nationalpolitisches Denken" derer ein, die "Gewalt, Rassismus und Antisemititsmus strikt ablehnen". In der Tat muss sich die Gesellschaft schon fragen, wie gefestigt ihr Vertrauen in die Demokratie ist, wenn sie bei jeder Flatulenz, die aus der rechten Ecke herüber weht, gleich mit Verbot und Bundesverfassungsgericht kontert. Warum weigert man sich so vehement, den Rechten mit Argumenten zu begegnen? Hat man angesichts der legendären Kapitulation des Journalismus bei den Auftritten von Schönhuber (bei Gottschalk) und Haider (bei Böhme) einfach Angst, vor der Rechten argumentativ zu versagen?

Und das Schlingenschief'sche Konzept der distanzierten Integration - Rampenlicht statt Untergrund? Bietet er den Braunen etwa ein medienwirksames Forum? Ist der Ausstiegswille echt? Oder alles nur ein großer Insider Joke für die Naziszene? "Nun kann es", schreibt Philosoph Boris Groys "auf solche Fragen offensichtlich keine überzeugenden Antworten geben. Was bleibt, ist der Verdacht." Der Schauspieler verschwindet nicht hinter seiner Rolle, er "erscheint neben seiner Rolle - und damit wird der Verdacht als solcher zur Schau gestellt." Und gerade dieser diffuse Verdacht ist es nach Groys' Einschätzung, der die Zürcher Inszenierung auszeichnet: "Denn man schaut sich ein Stück nicht an, weil man an dem interessiert ist, was dieses Stück zeigt, sondern weil man an dem interessiert ist, was dieses Stück möglicherweise verbirgt und verdeckt."

Titelbild

Thekla Heineke / Sandra Umathum (Hg.): Christoph Schlingensiefs "Nazis Rein". Tosten Lemmer in "Nazis Raus".
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
302 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3518122967

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