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Matthias Polityckis Reiseberichte in einer außergewöhnlich gelungenen Hörproduktion

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Hörbücher, da liest ein Autor aus seinem Werk. Und es gibt Hörbücher, da gelingt eine Lesung mit einigen unaufdringlichen Kunstgriffen zum kleinen Zauberwerk: Dann entsteht Hörvergnügen.

Ein solches Hörbuch ist Matthias Polityckis Lesung von "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels". Reiseerlebnisse der besonderen Art, in außergewöhnliche Sprache gefasst, hervorragend gelesen, in einer so zurückhaltenden wie intensiven Hörbearbeitung.

Der Autor erhebt in seiner Sprache zur Kunstform, was in Schulunterricht und Schreibwerkstätten rot angezeichnet würde: Satzschachtelungen, Paraphrasen und fragmentarische Wiederholungen. Politycki erzeugt damit einen geradezu körperlichen Rhythmus von Umkreisen, von Innehalten und Weiterspinnen. Der Vorleser erleichtert seinem Rezipienten einiges: Lesend könnte man sich vermutlich leicht in diesem Satzdschungel verlieren.

Politycki erzählt von Geschehnissen auf Reisen: auf Safaris, auf hoher See, in der Transsibirischen Eisenbahn. Mit einigen Sekunden atmosphärischen Geräuschs werden die Geschichten eingeleitet. Die Reiseziele sind die des gutsituierten Mittvierzigers, gerne mit einem Hauch Abenteuer: Indien, Afrika, Osteuropa.

Die Blicke des Reisenden jedoch verirren sich, weg von den Buddha-Statuen, weg vom Victoriasee. Sie stellen die Schrecken und Versuchungen des Urlaubs ins Zentrum der Betrachtung, die bei jeder heimischen Dia-Vorführung lieber verschwiegen werden: In "Safari mit Paul" ist das Steppen-Getier weit weniger exotisch als der Mitreisende. "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels" wird gebrochen, als ein indischer Tempel-Elefant am Ende seines Arbeitstags nach Zuwendung verlangt: Er will "umrüsselt" werden. Der Erzähler weist auf einer Arbeitsreise in Skopje eine Prostituierte ab und liegt die folgenden Nächte vor Sehnsucht schlaflos.

Den sieben Geschichten ist eines gemein: Sie gipfeln in einem Augenblick des Stillstands - oft ist es ein Moment zwischen Leben und Tod. Und dieser Moment wird im Hörbuch meisterhaft akustisch umgesetzt: Dann verdunkelt die Stimme, als sänke sie zurück ins Innere des eigenen Körpers, dann ist der klopfende Rhythmus eines Herzschlags zu hören. Und Politycki liest ein wenig langsamer, ein wenig zögernder noch als zuvor. Desto schrecklicher sind diese Momente, als die Reiseberichte voller abstruser, komischer Beobachtungen zuvor immer wieder ein schadenfreudiges Wohlgefühl hervorrufen.

Zwei Geschichten jedoch wohnt der Schrecken von Beginn an inne: "Tod eines Thunfischs" und "Tag eines Schriftstellers" (im CD-Booklet als "Tod eines Schrifstellers" ausgewiesen). Da stirbt ein riesiger Fisch einen langsamen Tod, auf dem Deck eines Touristenkreuzers, vor den Augen des Erzählers. Da begibt sich ein Autor auf Lesereise, parallel vollzieht sich das Sterben seines Vaters. Da setzt sich ein Kloß im Hals fest, der eine ganze Weile nicht verschwinden mag.

Titelbild

Matthias Politycki: Das Schweigen am andern Ende des Rüssels. Lesung. 3 CDs.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2001.
215 Minuten, 22,95 EUR.
ISBN-10: 3455302629

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