Träges Gemüt

Hans Korte hat "Selbs Justiz" schleppend intoniert

Von Daniel LenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Lenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

487 Minuten lässt dieses Hörbuch den Hörer allein, allein mit dem ersten Roman des schreibenden Juristen Bernhard Schlink - eine Ko-Produktion mit Walter Popp während eines Freisemester in Aix-en-Provence. Allein mit dem Sprecher Hans Korte, dem renommierten Schauspieler, bekannt unter anderem aus Dieter Wedels "Der große Bellheim". Eine spannende Zeit, mitunter aber auch anstrengende acht Stunden.

Das liegt weniger an Schlinks sympathischem Protagonisten, dem Privatdetektiv Gerhard Selb, Witwer, der in Mannheim lebt und trotz fortgeschritenen Alters stets ein Gespür für attraktive Frauen jeden Alters beweist - sich allerdings peu à peu als reformierter Nazi outet. Der 68-Jährige wird von einem Chemiekonzern beauftragt, einen Hacker aufzuspüren, der das Computersystem der Rheinischen Chemiewerke (RCW) in Ludwigshafen durcheinander bringt.

Im Verdacht steht der Mitarbeiter Schneider, der Spielschulden abzuzahlen hat. Eine Explosion in Schneiders Labor verstärkt den Verdacht - Schneider war gerade an diesem Tag abwesend. Der Fall gilt als gelöst, als sich Schneider erhängt. Doch wenig später geschehen weitere unbefugte Computer-Zugriffe, Selb steigt wieder ein. Bei der mühsamen Lösung des Falles wird er mit seiner eigenen Vergangenheit als junger Nazi-Staatsanwalt konfrontiert und erkennt, dass er argloses Werkzeug zweier Morde war.

Das alles erzählt Hans Korte innerhalb von acht Stunden, mit seiner unverkennbaren sonoren Stimme. Korte als Alter ego Selbs, das scheint zu passen: Der Sprecher ist Jahrgang 1929 und damit nur kaum älter als der Detektiv. Dessen leicht träges Gemüt, seine regelmäßigen lethargischen Phasen, in denen er an sich, seinem Fall und der Welt zweifelt, und diesen Zweifel am liebsten mit einer Flasche Whiskey ertränkt, transportiert Korte mit einer schleppenden Intonation.

Schwierigkeiten bereiten dem Schauspieler, der schon im Kindesalter als Chorknabe auf der Bochumer Bühne stand, allerdings die Dialoge, in denen Schlink das Tempo seines Romans anzieht. Wenn Selb seine Verdächtigen im Kreuzverhör auseinander nimmt oder in einer schmuddeligen Kneipe nach einem Wortgefecht vermöbelt wird - Kortes Sprach-Melodie macht da kaum eine Ausnahme.

Da wünscht man sich doch einen anderen Altmeister des Vorlesens, vielleicht den "Vorleser der Nation" Gert Westphal. Der sprunghafte Wechsel von der einen in die andere Figur innerhalb einer Romanszene, vom einen ins andere Timbre - Westphal springt den literarischen Figuren in den Nacken und verleiht ihnen seine Stimme, brilliant etwa in der Deutsche-Grammophon-Version von Thomas Manns "Zauberberg". Korte, der seine Schauspielprüfung, unter dem strengen Gustav Gründgens absolvierte, gelingen kaum sprunghafte Wechsel, die dem Hörer die Orientierung erleichtern und den Spannungsbogen über eine lange Hör-Strecke aufrecht erhalten.

Titelbild

Bernhard Schlink / Walter Popp: Selbs Justiz. 7 CDs. Gelesen von Hans Korte.
Hörbuch Hamburg Verlag, Hamburg 2002.
487 Minuten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3899030486

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