Lebenslänglich

Martin Walsers beklemmender Monolog "Alexander und Annette"

Von Ralf HertelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Hertel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Walsers Hörspiel ist eine intime Zwiesprache, bei dem nur einer spricht. Einundzwanzig Jahre ist Annette mit Alexander schon verheiratet, einundzwanzig Jahre, eine Zahl, die sie in ihrem beklemmenden Selbstgespräch beschwört wie eine Formel - oder ein Strafmaß, einen Richterspruch. Einundzwanzig Jahre, das hört sich aus ihrem Mund an wie: lebenslänglich. Schon damals, im Innenhof der Tübinger Universität, hätten sie die Weichen gestellt, die sie auf das Abstellgleis geführt haben: er, der erfolgreiche, zielstrebige Psychologiestudent, und sie, die Orientierungslose, die gerade dabei war, ihr Philosophiestudium an den Nagel zu hängen. Stets habe sie ihm nach dem Mund geredet, aus Angst, er könne sie verlassen. So sei sie nun sein Sprachrohr, sein Papagei ohne eigenen Text - in einer Ehe, die erstickt wie ein Gefängnis.

Und doch ist sie nicht allein, ist ihre Ehe keine Einzelhaft, ist ihr Gedankengang kein Monolog. Sie spricht an gegen das Schweigen ihres Mannes, das, wortlos und doch stets präsent, zu ihrem Dialogpartner wird. Es ist ein Schweigen, das ihre Fragen unbeantwortet lässt, weder Zustimmung noch Ablehnung signalisiert und doch unentbehrlich ist. Denn es ist diese Stille, gegen die Annette in ihrer sich ständig wiederholenden, lamentierenden Abrechnung ankämpft, die sie zu immer neuen und doch schon hundertmal gesagten Vorwürfen zwingt und ihre Rede antreibt wie ein verbales Perpetuum mobile. Denn hinter all ihrer wortreichen Beredtheit steckt letztlich nur Eines: die namenlose Furcht vor dem endgültigen Verstummen. So spricht sie ohne Unterlass Worte in die Stille einer tauben Ehe, obwohl sie schon lange nichts mehr zu sagen hat.

Kein Bild

Martin Walser: Alexander und Annette. Ein innerer Monolog, 1 MC.
Edition Klaus Isele, Eggingen 2001.
ca. 35 min, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3861422212

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