Der literarische Text als Bühne

Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass es heute an den Universitäten Theaterwissenschaften als eigenständige Disziplin neben den jeweiligen Literaturwissenschaften gibt, liegt in der Einsicht begründet, dass mit der reinen Analyse des dramatischen Textes das Phänomen Theater noch nicht ausreichend behandelt worden ist. Darüber hinaus existiert noch ein spezifisches Plus der dramatischen Situation oder Theatralität, die Inszenierung, die Bewegung physischer Körper im Raum.

Soweit gibt es am Diskussionsstand der Theorie wohl kaum noch etwas zu rütteln. Wesentliches Neuland aber ergibt sich bei der Umkehrung des Argumentes, die zu der Frage führt, inwiefern Theatralität "es mithin nicht nur mit Körpern und ihrer materialen Dynamik der Repräsentation, sondern auch mit Texten und den in ihnen wirksamen inszenatorischen Antriebs- und Bewegungsmustern" zu tun hat. Dieser Frage widmet sich der umfangreiche Sammelband "Szenographien: Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft," den Gerhard Neumann, Caroline Pross und Gerald Wildgruber herausgegeben haben. Die darin versammelten Arbeiten sind das Ergebnis einer Arbeitsgruppe innerhalb des Schwerpunktthemas Theatralität, ein zweiter Band zum selben Thema, jedoch mit einer Reihe von exemplarischen Fallstudien, ist in Planung.

Insgesamt reißt der bereits vorliegende, stark theoretisch orientierte Band einen sehr weiten Horizont auf, was das Aufscheinen und die Bedeutung von Theatralität im Kontext der Literaturwissenschaft angeht. Von der Beobachtung, dass die Sprache bereits auf der Ebene der Syntax und sogar des Wortes ihre eigene Szene immer schon in sich trägt, die vor allem Gerald Wildgruber in seinem Aufsatz "Die Instanz der Szene im Denken der Sprache" entfaltet, bis hin zu Claudia Öhlschlägers und Clemens Pornschlegels Analyse des Gesamtkunstwerkes bei Richard Wagner reicht der Bogen. Aufgeteilt ist das Ganze in drei Hauptgruppen und zwei weiterführende Betrachtungen. Die "Szenen der Sprache" der ersten Gruppe widmen sich der theoretischen Grundsteinlegung anhand der Arbeiten von unter anderem Roland Barthes, den man als eine Art Leitfigur des gesamten Bandes ausmachen kann, Mallarmé, Derrida und Wolfgang Iser. Hier geht es um die Theatralität der Zeichen und die Reflexion von Theater und Text.

Unter der Überschrift "Kulturtheorien des Performativen" werden dann neben Wagner und Nietzsche als Vertreter von Theatralitätstheorien des 19. Jahrhunderts noch die Thesen Michail Bachtins und Hans Blumenbergs untersucht. Gerade Bachtins These von der Dialogizität der Sprache bietet hier einige Anknüpfungspunkte für die grundsätzliche Fragerichtung des Bandes. Anschließend werden noch "Theatrale Institutionen von Gesellschaft und Subjekt" untersucht, worunter einerseits der Zusammenhang von "Ritualität und Theatralität" fällt und andererseits Theoretiker mit einem Fokus auf das Performative wie Judith Butler oder Pierre Legendre. Als abschließende "Öffnung des Schauraums" finden sich noch ein Essay von Gerhard Wildgruber zu "Theorie und Chor" und eine Nachbemerkung von Caroline Pross zu dem Bild von Claude-Nicolas Ledoux, das den Einband ziert. Damit ergibt sich ein umfassender Ausblick auf eine neue Betrachtungsmöglichkeit des literarischen Textes.

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Gerhard Neumann / Caroline Pross / Gerald Wildgruber (Hg.): Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft.
Rombach Verlag, Freiburg 2000.
400 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3793092399

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