Ayses blaues Buch

Zoë Jennys Roman "Ein schnelles Leben"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor gerade einmal fünf Jahren wurde das "Fräuleinwunder" wie eine Frischzellenkur für die deutschsprachige Literatur gefeiert. Erstlingswerke junger Autorinnen wurden hymnisch bejubelt, Verlage stürzten sich auf Debütantinnen unterschiedlichster Couleur und machten sich damit das Geschäft gegenseitig schwer.

Eine der Protagonistinnen in diesem Treiben, bei dem die literarische Qualität nicht mehr als primäres Kriterium galt, war Zoë Jenny mit ihrem Debütwerk "Das Blütenstaubzimmer" - ein Buch, das mehr als 250.000mal verkauft und in 26 Sprachen übersetzt wurde.

Trotz des Misserfolgs mit ihrem zweiten Buch "Der Ruf des Muschelhorns" ("nur" noch 50.000 Exemplare und acht Übersetzungen) warb der Verleger Bernd Lunkewitz der Frankfurter Verlagsanstalt die in Basel geborene Autorin ab und veranstaltete zwei Monate vor Erscheinen des Romans "Ein schnelles Leben" in Berlin eine groß inszenierte Vorablesung für das Fachpublikum. Der Aufbau Verlag hat (vom gezahlten Vorschuss ganz zu schweigen) viel in das vermeintliche Paradepferd Zoë Jenny investiert.

So weit die nicht unspektakuläre Vorgeschichte, die spannender ist als das eigentliche Objekt der Begierde, das uns vom Verlag als "moderne Romeo-und-Julia-Geschichte" präsentiert wird.

Wir begegnen wieder einmal einer jungen Frau auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Ayse lebt mit ihren türkischen Eltern in einer Stadt, die Berlin nicht unähnlich ist. Von ihrem Bruder Zafir wird das sensible und künstlerisch talentierte Mädchen auf Schritt und Tritt bewacht. "Bei dir geht es zu wie in einem anatolischen Bergdorf", bemerkt Ayses Freundin Sezen.

Lediglich bei ihren Aufzeichnungen im blauen Tagebuch gewinnt die Gymnasiastin einen kleinen Freiraum und erkämpft sich schreibend eine Privatsphäre. Das alles wirkt noch ziemlich authentisch, doch man weiß durch die vollmundige Verlagsankündigung, dass noch eine unglückliche Liebe folgen muss.

Und da wird es bei Zoë Jenny ziemlich abenteuerlich - sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ayse verliebt sich in Christian, dessen langjähriger Freund Siggi ein gefährlicher rechtsradikaler Schläger ist. Die Spannungen wachsen, und zwischen beiden steht Ayses Bruder, der sich mit Siggi brutale Straßenschlachten liefert und seiner Schwester den Umgang mit Christian verbietet.

Selbstverständlich ist die Liebe stärker, sie wischt kulturelle Gegensätze im Handumdrehen weg, zumal Zoë Jenny beiden auch noch gemeinsame Wurzeln verpasst hat. Ayse lebt mit ihrer steinreichen Familie in jenem Haus, das Christians Familie vor der Wende bewohnte. Diese überdimensionale Ihr-seid-füreinander-bestimmt-Symbolik unterstreicht die 28-jährige Autorin noch dadurch, dass Ayse sich in Christians einstigem Kinderzimmer eingerichtet hat.

Zoë Jenny arbeitet mit unübersehbaren Allegorien (Ayses Liebe wird mit der Königin der Nacht verglichen, die bekanntlich nur einmal kurz zu voller Pracht aufblüht) und festgezurrten Menschenbildern, die genau in Gut und Böse aufgeteilt sind, ohne dass irgendwo Platz für Reibung oder Zwischentöne bliebe. Ayses Naivität erreicht traurige Gipfel, als sie über ihren Bruder in ihr blaues Buch schreibt: "Ich verstehe nicht, warum die Menschen, die ich am meisten liebe, gleichzeitig meine größten Feinde sind." Die türkische Familie hat nämlich beschlossen, dass Ayse ihre Schullaufbahn in einem teuren Schweizer Internat fortsetzen soll. Dieser angeblich so intelligente Teenager kapiert überhaupt nichts und wird von der Autorin wie eine Billardkugel zwischen den übrigen Figuren hin- und hergestoßen.

Hier stellt sich keine Atmosphäre ein, hier dominiert die Sterilität des Reißbretts, an dem diese Geschichte entworfen wurde. Ebenso verkrampft und künstlich wirkt Jennys Stil, wenn sie eine Beischlafszene beschreibt: "Es ist wie in die Tiefe fallen, sagte sie. Es ist wie fliegen und aufsteigen, sagte er und drang in sie ein."

Am Ende fliehen Christian und Ayse aus Berlin und lassen sich in einem Schweizer Bergdorf nieder, wo sie nach einem Unwetter den Tod finden.

Das ist - um bei Shakespeare zu bleiben - weder die Nachtigall noch die Lerche: es klingt eher wie raunendes, dissonantes Taubengegurre. Der so rasant aufgestiegene Stern Jenny scheint zu verglühen. Vielleicht war es gar nur eine Sternschnuppe. Wenn man diese erblickt, soll man die Augen schließen und sich etwas wünschen. Was sich der Rezensent für Zoë Jenny wünscht, muss er für sich behalten, denn sonst - so der Volksmund - geht der Wunsch nicht in Erfüllung.

Titelbild

Zoe Jenny: Ein schnelles Leben. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2002.
165 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3351029519

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