Liebe zum Hören

Connie Palmens berührende Liebesgeschichte "I.M.", gelesen von Ulrike Grote

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Einstieg in Hörbücher gestaltet sich in der Regel problematisch. Die Regel nämlich ist, dass man vorher vielleicht auch die Printversion des betroffenen literarischen Stückes rezipiert hat und nun mit einer Erzählstimme konfrontiert ist, die der eigenen Kopfstimme überhaupt nicht ähnelt. Man ist geneigt zu sagen, dass das nicht mehr dieselbe Geschichte sei und die Stimme nicht zum Charakter passe. Auch in diesem Fall verhält es sich anfänglich nicht anders. Connie Palmens autobiographische Prosa "Ischa Meijer In Margine In Memoriam" gelesen von der hörbucherfahrenen Theaterschauspielerin Ulrike Grote erscheint einem bei den ersten Sätzen nicht mehr ganz stimmig und authentisch. Doch wenn sich dieser kursorische Eindruck der anscheinenden Diskrepanz zwischen der gelesenen, aus den Lautsprechern tönenden Stimme und dem im Kopf bereits konturierten Charakter des Erzählers zu verflüchtigen beginnt, stellt sich der Hörgenuss bald ein.

Es wird die Geschichte erzählt von einer Liebe zwischen Connie Palmen und Ischa Meijer. Diese beiden aufgrund ihrer Profession - sie als Schriftstellerin, er als Journalist - in der Öffentlichkeit der Niederlande stehenden Menschen treffen sich im Rahmen eines Interviews, und schon bei der zweiten Begegnung scheint beider Leben ein neuer Sinn eingehaucht. Das Dämmern eines neuen Lebens glüht für beide am Horizont. Nun scheinen auch sie zur Vierfüßlerexistenz zu gelangen und Zweisamkeit wird zur süßen Gewohnheit. Ein bis zum Rande der menschlichen Kapazitäten reichendes Lieben des anderen setzt ein. In einer so intimen Beschreibung hat man selten die Intensität einer Leidenschaft serviert bekommen, ohne dass gleichzeitig ein vages Gefühl von Aufdringlichkeit die Kost unbekömmlich gemacht hätte. Nie beschleicht den Rezipienten der Eindruck, von einem Detail hätte auch geschwiegen werden können. Nein, hier findet jede noch so anekdotische Winzigkeit seine Berechtigung und hat auch seine Notwendigkeit. Denn dort überall, in der Inkontinenz der Liebenden oder den Suppenduftassoziationen vermittelt und offenbart sich eine Zuwendung zu einem anderen Menschen, wie sie größer wohl nicht vorstellbar ist. Hat man sich noch nie gewünscht in Abhängigkeit von anderen Menschen zu sein - die von Connie Palmen und Ischa Meijer gefühlte, die will man auch empfinden. Nicht mehr abzustreifen ist die Ergriffenheit, die sich einstellt beim Hörer und die Einsicht reift, dass wer auch immer von Liebe, Leidenschaft usw. gesprochen oder geschrieben hat, eben wie Connie und Ischa empfunden haben muss.

Eines zumindest wird klar: Wenn man eine zwischenmenschliche Beziehung mit solch großen Begriffen belegen möchte, wenn die schöne Utopie von der großen Liebe irgendwo ihren Beweis angetreten haben sollte, dann in dieser Geschichte. Selbst ihre jeweiligen Laster und die dahinter liegenden Neurosen gefährden nicht diese Beziehung. Diese ist in der Lage den anfallenden Kummer aufzufangen und selbst in der Alltäglichkeit des Seins so viel Glück zu produzieren, dass es aus beiden in den unvermitteltsten Momenten nur so heraussprudelt. Doch als ein Menetekel erscheint Ischas Aussage "Falls Du nicht schon die Frau meines Lebens bist, wirst Du auf jeden Fall die Frau meines Todes". So erfüllt sich denn auch diese böse Ahnung durch einen Herzinfarkt Ischas - und es folgt das schon im Titel angekündigte "In Memoriam". Hier wird die Periode nach dem plötzlichen Ableben Ischas beschrieben, und nun kommt auch die einfühlsame Lesart Ulrike Grotes noch mehr zum Tragen. Sie verstärkt den ohnehin schon tieftraurigen Charakter der nun folgenden Darstellung von Connies Trauer und ihrer Kämpfe mit den Erinnerungen an Ischa. Jetzt ist es an der Zeit für Palmen sich selbst zu beweisen was sie an Gedanken schon vorher - zu Lebzeiten Ischas - über die Funktion ihres Schreibens geäußert hatte: "Die Literatur kann alles wiedergutmachen, was in unserem Leben schief geht". Den Beweis für diesen Satz tritt sie auch an und beendet ihre Flitterwochen mit einem Abwesenden durch ihre Rückkehr zur Feder.

Die Teilhabe an dem Gedankenaustausch, den Gesprächen der beiden sich ständig geistig befruchtenden ist ein großer, dichter, nie überdrüssig werdender Genuss. Die Geschichte dieser Liebe, die nie kitschig und selbst in dem Entwurf des Bildes ihrer Trauer über sein blitzartiges Verschwinden aus dem Leben nicht rührselig gerät, ist eine humorvolle und intelligente Dokumentation der besten, glücklichsten Jahre zweier Menschen. Indes mit dieser Darstellung beschert die Autorin vielen Lesern und nun auch Hörern einige Stunden Literaturgenuss. Wenn immer wieder postuliert wird, gute Geschichten können nur von Menschen erzählt werden, die schon viel Leid in ihrem Leben ertragen mussten, hier scheint ein guter Beweis dafür der Öffentlichkeit präsentiert zu werden.

Titelbild

Connie Palmen: I. M. Ischa Meijer In Margine In Memoriam. 5 CD.
Hörbuch Hamburg Verlag, Hamburg 2002.
ca. 400 Minuten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3899030508

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