Weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus

Andrea Trumanns Buch "Feministische Theorie" bietet nicht viel mehr als eine Patchwork-Leistung

Von Bettina RoßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Roß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Sommer 2002 ist Andrea Trumanns "Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus" erschienen. Der Titel lässt eine aktuelle Einführung in die feministische Theorie vermuten. Diese Erwartung wird jedoch leider enttäuscht. Das Buch bietet zwar einen halbwegs chronologischen Überblick über die Frauenbewegung seit 1968 in Deutschland, allerdings weniger als Einführung und mehr als Diskussionsband. Andrea Trumann fokussiert zudem ihre Darstellung auf die Frage nach der bürgerlichen Subjektbildung von Frauen und der Modernisierung des Spätkapitalismus durch die Frauenbewegung.

Aus ihrem Vorwurf, die Frauenbewegung habe die Ausgestaltung des spätkapitalistischen Subjektes mit vorangetrieben, ergibt sich ihr Blickwinkel auf die verschiedenen Phasen der deutschen Frauenbewegung. Sie kritisiert dieses Subjekt, das flexibel, selbstdiszipliniert und teamfähig seine Arbeitskraft zu Markte trage sowie die Löung von Konflikten rein individualistisch suche. Trumann beschäftigt sich mit dem Beginn der Frauenbewegung in der antiautoritären Studentenbewegung, der Weiterentwicklung hin zu mehr Selbstbestimmung in Anbetracht der Zumutungen auch durch die "eigenen" Männer, mit der darauf folgenden Suche nach einer positiv besetzten weiblichen "Identität", welche wiederum inzwischen durch Migrantinnen und die queer-Theorie dekonstruiert wurde. Damit betrachtet sie zwar die wichtigen Phasen der deutschen Frauenbewegung - analysiert diese allerdings nur punktuell und eher pauschalisierend. Für die in der Frauenbewegung stets wichtigen Zwischentöne und kritischen Stimmen ist in ihrer Auseinandersetzung kein Platz. Einzelne Zuordnung stimmen gar nicht (z. B. ihre These, Migrantinnen hätten den Identitätsfeminismus erst im Zuge der Institutionalisierung und Professionalisierung der Frauenbewegung in Frage gestellt, womit Trumann den Vorwurf an die Migrantinnen verbindet, ebenfalls nur ein Stück vom kapitalistischen Kuchen bekommen zu wollen).

Der Verdienst dieses Buch besteht vor allem in zwei Punkten: Zum einen bearbeitet hier eine Autorin der Töchtergeneration, also jener die schon im Schatten und unter Nutzung der erkämpften Freiräume aufwuchsen, die Geschichte der Frauenbewegung. Zwischen den verschiedenen Generationen der Frauenbewegung gibt es viele Missverständnisse, Sprachlosigkeiten, Verletzungen und sehr viel fehlende Kommunikation. Da wiegt es schwer, wenn Andrea Trumann, Jahrgang 1973, sich mit den Gründen und Fehlern der Frauenbewegung auseinandersetzt. Die verschiedenen Generationen können und müssten voneinander lernen - Trumann tut hier einen wichtigen Schritt, indem sie kommuniziert und eine mögliche Sicht der Entwicklungsprozesse der Frauenbewegung präsentiert.

Ihr zweiter Verdienst liegt darin, dass sie einige wichtige Aspekte benennt, unter denen Frauenbewegung, bzw. ihre unterschiedlichen Flügel und Stadien, kritisch gesehen werden müssen. Sie grenzt sich von Identitätsmodellen einer einheitlich gesehenen "Frau" ab, die irgendwie natürlich sei und universalistisch für alle anderen Frauen mitsprechen könne. Besonders deutlich setzt sie sich mit den Konstruktionen der Frauenbewegung im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit dem schwierigen Verhältnis von Frauen zur Gentechnologie ab. Ihre Thesen in diesem Bereich sind provokant und bedenkenswert.

Allerdings hätte sie es bei diesem Themenschwerpunkt, sprich dem Verhältnis von feministischer Subjektbildung und Gentechnologie, belassen sollen. Darüber hat sie offensichtlich lange nachgedacht und auch etwas zu sagen. Ihr Überblick über die Frauenbewegung wirkt da eher hinzugepflastert, unsystematisch und unzulässig pauschalisierend. Da stört nicht nur, dass sie ihren zentralen Begriff "Subjektbildung" nirgends deutlich genug definiert. Statt den Beitrag der marxistischen Theoriebildung, auf die sie sich stets bezieht, zu klären, umkreist sie den Begriff nur und verweist in ihrem kurzen Unterkapitel über die Entstehung des bürgerlichen Subjektes nur auf Thomas Hobbes und Jean Jaques Rousseau.

Ohnehin wirkt das Buch des öfteren eher als Patchworkarbeit, bei der oft nicht verständlich ist, warum manche Aspekte sehr ausführlich behandelt werden (wie Simone de Beauvoir), während andere wegfallen, die mit dem Thema aber sehr wohl zu tun hätten (wie John Lockes Aufteilung der Gesellschaft in Öffentlichkeit und Privatheit, die Diskussion um feministische Dekonstruktion nach Michel Foucault und Judith Butler und die feministische Debatte um Subjektivität). Das Buch wirkt über weite Strecken als wäre es teilweise aus Vortragsmanuskripten zusammengestückelt - die gute und fundierte Auseinandersetzung mit Beauvoirs "Das andere Geschlecht" fällt drastisch auf gegenüber anderen eher oberflächlichen und sprunghaften Textpassagen.

Es wäre also besser gewesen, ein kritisches Buch über die für Trumann offensichtlich zentrale Frage des Beitrags der Frauenbewegung zur Individualisierung und zur Vernutzung des spätkapitalistischen Menschen, insbesondere in der Gentechnologie, zu schreiben. Trumann vertritt hierzu eine ebenso klare wie streitbare Position, indem sie davon ausgeht, dass unter anderem aufgrund der Diskurse der Frauenbewegung die Frauen ihre Disziplinierung heute selbst wählen und verinnerlichen, so dass es kein autoritäres, rein-strafendes Regime wie noch in den 1950er Jahren mehr braucht: Die Frauen sind bereit, sich vernünftig und diszipliniert für oder gegen Kinder zu entscheiden, Verhütungsmittel zu gebrauchen, Sexualität einzudämmen und geplante, d.h. gesund-normierte Kinder zur Welt zu bringen - alles unter dem Logo der Selbstbestimmung und unter völligem Ignorieren der gesellschaftlichen Zwänge, die z. B. die Reproduktionsarbeit nach wie vor bei den Frauen belässt und die Geburt eines behinderten Kindes zu einem sozialen und finanziellen Risiko werden lassen.

Ihr Schlusswort fasst ihren Beitrag zu einer wichtigen Diskussion zusammen: "Diese Verinnerlichung der patriarchalen Herrschaft und die damit einhergehende Subjektwerdung der Frauen werden oft als das Ende des Patriarchats missverstanden. Ein Ende patriarchaler Herrschaft wird es jedoch erst in einer Gesellschaft geben, in der Selbsdisziplinierung und -kontrolle, auf die Subjektivität heute reduziert ist, nicht mehr notwendig sind. Eine feministische Theorie und Praxis, die nicht der Anpassung der Frauen an die neuesten Herrschaftsmechanismen dienen will, sollte sich zumindest ein Bewusstsein davon bewahren, dass wahre Selbstbestimmung erst in einer wahrhaft freien Gesellschaft möglich ist."

Damit hat sie sowohl der Dilemma der Töchtergeneration - die Annahme der schon erfolgten Überwindung des Patriarchats - als auch eine der zentralen Kurzsichtigkeiten von großen Teilen der Frauenbewegung benannt und zurecht kritisch umschrieben.

"Feministische Theorie" stellt einen in Teilen spannenden Diskussionsbeitrag dar, vor allem für jene, die sich für die Folgen von Reformismus und/oder für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Gentechnologie interessieren. Darüber hinaus verfügt das Buch über ausführliche und teilweise bewertete Literaturhinweise.

Titelbild

Andrea Trumann: Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus.
Schmetterling Verlag, Stuttgart 2002.
204 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3896575805

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