Biotop für Bekloppte

Wie der Hörfunkautor Herbert Hoven liebevoll "Kirche, Karneval und Klüngel" der Stadt Köln geißelt

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Köln zu verlassen ist furchtbar, aber es geht." Der Kölner Hörfunkautor Herbert Hoven hat ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Heimatstadt. In den ironischen Trennungsschmerz mischt sich die ungläubige Faszination angesichts der Jecken und Individualisten, die in der Stadt am Rhein auch außerhalb der Karnevalssaison überall zu finden sind; mischen sich zynischer Abscheu vor dem sprichwörtlichen Kölner Klüngel, der nach wie vor die Stadt regiert; das nachsichtige Staunen über die maßlose Selbstbezogenheit der Kölner, die ihre Stadt für den Nabel der Welt halten; und bittere Enttäuschung über das hartnäckige Verschweigen jedweder Verstrickungen der Stadt in die Verbrechen der Nationalsozialisten.

In dem Lesereisen-Bändchen des Picus Verlages "Kirche, Karneval und Klüngel" sind 24 knappe, aber thematisch weit gestreute Skizzen Hovens versammelt - über Kölner Originale wie den Oberbürgermeister "Fritz, der tut was" Schramma; über die Baugeschichte des Kölner Doms und verarmter Arbeiterviertel; über die eindeutige NS-Vergangenheit der Kölner Polizei und der Ford-Werke; über verkommene Durchgangsstraßen - "kotz!"; über die Dialogautoren der Vorabend-Soap "Verbotene Liebe", die in den Bocklemünd-Studios des WDR gedreht wird - und immer wieder über den Klüngel, der seine Tentakeln über jede Facette des Kölner Gesellschaftslebens ausgebreitet hat; auch über den altmodisch-bieder aufgemachten "Kölner Bilder-Bogen", einer monatlichen Stadtteilzeitung des selbsternannten ,local hero' Helmut Thielen: "Der Bilder-Bogen ist weder Anzeigenblatt noch Kundenzeitung, aber die Grenzen zwischen Werbung, Promotion, Information, Klatsch und Tratsch sind fließend. Zum Beispiel: Wenn Marion Koch aus Rodenkirchen Frank Niederländer heiratet, dann ehelicht die Tochter des Bäckermeisters Hubert Koch (drei Filialen) einen Motorradhändler. Der Bäckermeister ist Mitglied der Karnevalsgesellschaft Die Altstädter und gehört als deren Literat zu jenen grauen Eminenzen im Kölner Karneval, die die Bühnenprogramme der Sitzungen zusammenstellen. Neu-Schwiegersohn Frank wiederum ist Mitglied im Korps der Prinzengarde. Braut Marion arbeitet bei der Rodenkircher Firma Profimiet, die Geschirr und Wäsche für Großveranstaltungen verleiht. Inhaber von Profimiet ist Konstantin Brovot, Prinz Karneval des Jahres 1998. Der zweispaltige Artikel über das ,junge Glück' ist allemal ein paar Anzeigen im Kölner Bilder-Bogen wert."

Ein "Biotop für Bekloppte" hat der Kabarettist Jürgen Becker die Stadt einmal genannt, und tatsächlich ist der Humor der Kölner ein Kapitel für sich. Hoven analysiert den rheinländischen Kalauer-Hunger schlauerweise nicht anhand des ausgelutschten Kölner Karnevals, sonders aus der Perspektive namhafter deutscher und österreichischer Kabarettisten, die etwas fassungslos von ihren Auftritten vor Kölner Publikum berichten. Sentimental sei der Kölner Humor, völlig a-zynisch und hoffnungslos "selbstbesoffen" - harmloser, oberflächlicher Frohsinn ohne Weitblick, so das vernichtende Fazit Hovens, ein Fazit, das er allerdings hinterhältig zwischen den Zeilen versteckt und das sich deshalb um so nachhaltiger beim Leser festsetzt.

Die Beiträge, entstanden in den Jahren 1998 bis 2001, können ihre Nähe zum Hörfunk-Feature nicht verleugnen. Manchmal nähern sie sich der Reportage, wie im eindringlichen Kabinettstück über das Hänneschen-Theater, ein Puppenspiel-Theater, das 1802 gegründet wurde und während des Dritten Reiches muntere Hetz-Stücke über Juden und Zigeuner aufführte. Hoven arbeitet auf engstem Raum die Theatralik und Sentimentalität der Kölner "Heimathirsche" plastisch heraus, verdichtet Stimmungen und Eindrücke zu lächerlichen oder bedrückenden Szenarien. Auch zögert er nicht, den Finger in die offenen Wunden Kölscher Widersprüche zu legen.

Am trefflichsten beherrscht Hoven jedoch die Kunst der unbewussten Selbstentblößung der Porträtierten: Durch subtile Textmontage von Zitat und historischer Information gelingt es ihm z. B., den Präsidenten der Prinzengarde Hans "wenn ich in den Saal komme, ist die Stimmung enorm" Becker in seiner ganzen selbstverliebten Arroganz zu entlarven, ohne auch nur ein böses Wort über ihn zu schreiben. Aus dem Einzelporträt des "umtriebigen Prinzengardisten" wird so - ganz nebenbei - das Psychogramm der Kölner Karnevalsmentalität schlechthin: "Es sei ein ,Irrglaube', erklärt Hejo Emons, der Erfinder des Kölnkrimis, daß man meine, der Kölner lebe nur in der Karnevalszeit im Karneval. Im Grunde befinde sich der Kölner das ganze Jahr über im Karneval. Es sei wie mit einem ,Grizzlybären im Winterschlaf': Wenn man den anpacke, dann explodiere der."

Titelbild

Herbert Hoven: Kirche, Karneval und Klüngel. Kölner Inszenierungen.
Picus Verlag, Wien 2002.
132 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3854527551

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