Zahlreiche konkurrierende Schulen der Philosophie und eine dennoch vergebliche Suche

Das Lexikon großer Philosophen des 20. Jahrhunderts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Konzept des Lexikons "Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts", das in Taschenbuchform einen Auszug aus dem Metzler Philosophen Lexikon bietet, klingt durchdacht und ansprechend. Es ist biographisch orientiert und richtet sich demzufolge in Anlage und Stil weniger an Fachphilosophen als an all jene, die sich aus unterschiedlichen Interessen über den "philosophie- und problemgeschichtlichen Horizont, die Voraussetzungen und Wirkungen" (Bernd Lutz) der großen Philosophen unseres Jahrhunderts unterrichten wollen.

Orthodoxe und Westliche Marxisten und Verfechter der Kritischen Theorie sind ebenso zahlreich vertreten wie die französischen Theoretiker des Strukturalismus, des Dekonstruktivismus und der Postmoderne oder angloamerikanische Denker des Pragmatismus und der Analytischen Philosophie. Gleiches gilt für die führenden Philosophen der konkurrierenden Schulen zu Beginn des Jahrhunderts. Auch wurden durchaus nicht nur Philosophen im engeren Sinne aufgenommen. So findet man etwa Physiker wie Niels Bohr, Werner Heisenberg, Max Planck und Erwin Schrödinger ebenso wie die Psychoanalytiker Sigmund Freud und Carl Gustav Jung; der Entwicklungspsychologe Jean Piaget fehlt ebenso wenig wie die Ethnologin Margaret Mead. Angesichts dieses weitgespannten Bogens fällt ein besonderes Desiderat um so schneller ins Auge und um so stärker ins Gewicht: Feministische Philosophinnen sind nicht vertreten! Nicht, daß Frauen überhaupt nicht aufgenommen worden wären. Sie sind es, in Maßen: Artikel zu Rosa Luxemburg, Hannah Arendt oder Agnes Heller enthält der Band durchaus. Nur eben die Feministinnen fehlen, mit einer Ausnahme: Simone de Beauvoir. Ansonsten jedoch scheint es sich für den Herausgeber bei der Feministischen Philosophie geradezu um eine Philosophia non grata zu handeln. Zumindest Seyla Benhabib, Judith Butler, Hélèn Cixous, Mary F. Daly, Evelyn Fox Keller, Luce Irigaray und Monique Wittig hätte man doch erwarten dürfen. Ja, und dann der Artikel über Simone de Beauvoir. Man kann fast den Eindruck gewinnen, derjenige über Sartre sei versehentlich unter ihrem Namen abgedruckt worden. Zumindest ist von ihm ebenso viel die Rede wie von ihr, während umgekehrt Simone de Beauvoir in dem Eintrag Sartres mit keiner Silbe erwähnt wird.

Das Ausblenden Feministischer Philosophie ist ein Manko, das die Brauchbarkeit des Lexikons stark einschränkt. Angesichts dessen wiegen andere Mängel vergleichsweise gering; etwa daß man zwar erfreut zur Kenntnis nehmen kann, daß der eher unbekannte Vertreter des Marburger Neukantianismus Paul Natorp aufgenommen wurde, dann aber mit um so größerem Erstaunen feststellen muß, daß das Schuloberhaupt dieser philosophischen Strömung, Hermann Cohen, fehlt. Schon kurios wird es, wenn man in dem Artikel über den Sozialdemokraten Karl Kautsky nachlesen will, was er denn so großartiges auf philosophischem Gebiet geleistet hat, daß ihm die Ehre zuteil wird, in ein Lexikon der "großen Philosophen" aufgenommen zu werden, dort aber nur in Erfahrung bringen kann, daß das "auffälligste Merkmal" seiner Arbeiten die "Abstinenz gegenüber philosophischer Reflexion" ist.

Titelbild

Bernd Lutz: Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts.
dtv Verlag, München 1999.
448 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3423325178

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