Mit dem Zweifel im Bunde

Nikos Panajotopoulos ironischer Abgesang auf eine allzu gewisse Zukunft

Von Monika von AufschnaiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika von Aufschnaiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Herrlich," würde so mancher Lektor rufen, "ein genetischer Talentnachweis für Autoren: Statt Tonnen unverlangter Manuskripte bräuchten wir nur noch Testergebnisse zu lesen." Doch was wäre, wenn die Wissenschaft tatsächlich über die Künste triumphierte und die Gewissheit über den Zweifel?

Im Jahre 2030 wird bereits routinemäßig mit dem sogenannten Zimmerman-Test festgestellt, wer über das "Autoren-Gen" verfügt und wer nicht. Bei den Verlagen begehrt sind die positiv Getesteten, die "Negativen" hingegen kämpfen mit Arbeitslosigkeit und Depressionen. Nur etablierte Künstler können es sich leisten, den Test zu verweigern. Die anderen Verweigerer, wie etwa James Wright, haben lebenslänglich an ihrer Zweifelslast zu tragen. Aus Angst vor einem vernichtenden Urteil verschließt Wright sich bis zuletzt seinem Testergebnis - und gelangt durch einen genialen Coup posthum zu Ruhm und Ehre.

Nikos Panajotopoulos' in der Zukunft angesiedelter Ideenroman ist eine zeitlose Verteidigung der Meinungs-, Kunst- und besonders der Literaturvielfalt. Mit der feinen Ironie des Kenners beschreibt der 1963 in Athen geborene Journalist die Auswirkungen des Tests auf die Literatuszene und die Gesellschaft - einer Gesellschaft, die mit den Konsequenzen dieser Gewissheitsoption nicht angemessen umgehen kann. Schon bald nach der Erfindung des Tests ist sein eigentlicher Nutzen völlig ins Hintertreffen geraten. Sogar die Verlage, die eigentlich von Autoren mit Gütesiegel profitieren könnten, sehen sich nur mit einer neuen Art des Überlebenskampfes konfrontiert: "Positive", verwöhnte und darum schreibfaule Wunderkinder müssen von ungetesteten Profischreibern mit Stoff beliefert werden. Das Schweigegeld für Ghostwriter wie Wright ist entsprechend hoch, doch der Schmerz über den verkauften Ruhm lässt sich nicht mit Geld stillen. Wright findet erst Frieden, als er die Erinnerungen an sein im wahrsten Sinne des Wortes verzweifeltes Leben festgehalten und sie seinem Arzt überantwortet hat.

Dem Inhalt des Romans folgt seine Form. Panajotopoulos verwendet drei Erzählebenen, die sich gegenseitig relativieren und in Frage stellen: Zu Beginn des Buches steht das mit 2064 datierte Vorwort von Dr. Friedrich Clause, Wrights Arzt, der als Herausgeber des Buches firmiert und beiläufig Wrights positives Testergebnis erwähnt. Im Nachwort wird von der Rehabilitationswelle berichtet, die das Erscheinen von Wrights Memoiren ausgelöst hat: Die Werke des Autors werden wieder verlegt und verkauft, seine Lebensbeichte erreicht Auflagen in Millionenhöhe. Doch hat damals der Arzt die Wahrheit über Wrights' Testergebnis gesagt? - Panajotopoulos versieht dieses Nachwort mit seinem Namen und der doppeldeutigen Jahreszahl 99 - ganz im Sinne des Mottos von Kikí Dimoulá: "Wir sollen glauben. Um jeden Preis. Nicht für einen Augenblick sollen wir wissen".

Titelbild

Nikos Panajotopoulos: Die Erfindung des Zweifels.
Übersetzt aus dem Griechischen von Ulf Dieter Klemm.
Reclam Verlag, Leipzig 2002.
184 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3379007919

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