Balsam für gequälte Seelen

John Cowper Powys empfiehlt mentale Tricks gegen das Unglück

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lebenshilfe-Literatur hat zweifellos Konjunktur, doch ist sie keineswegs eine Erfindung unserer Tage. Im Verlagsprogramm des Hauses Zweitausendeins lässt sich derzeit eine Wiederentdeckung des 1872 geborenen Engländers John Cowper Powys beobachten - eines egozentrischen Lehrers, der in seinem 91-jährigen Leben ein Werk von über 50 Büchern mit einem Gesamtumfang von rund 20.000 Seiten hinterlassen hat.

"Wir sind nicht geboren, um glücklich zu sein. Wir sind geboren, um unser Glück zu erkämpfen", so lautet die angriffslustige Maxime dieses bodenständigen Denkers. Powys lehrt seine Leser, Lebensfreude zu empfinden und zu genießen. In seinem jetzt erstmals auf Deutsch erschienenen Ratgeber "Die Kunst des Glücklichseins" erfahren wir, welche Regeln beim Kampf gegen das Unglück Erfolg versprechen.

Zunächst, so Powys, sollten wir daran glauben, dass wir unsere eigenen Gedanken lenken können. Auf diese Weise ist es möglich, alle Gedanken zu fördern, die uns glücklich machen, und umgekehrt all jene zu unterdrücken, die uns Kummer bereiten. Gewiss, unsere alltägliche Lebenswelt macht müde, bereitet Sorgen und Nöte, setzt unter Druck, lässt uns leiden und resignieren. Das war damals so wie heute, und Powys ist sich dessen wohl bewusst. Doch er lehnt es ab, sich dem Leid zu beugen. Das Unglück ist nicht unausweichlich, verkündet er, denn unsere Phantasie habe die Kraft, das Sein stets neu zu erschaffen.

Um den Missmut abzuwehren und der Freude Raum zu geben, empfiehlt der Autor eine Reihe mentaler Tricks. Schon ein "Akt der Dekarnation" kann nach seinem Dafürhalten individuelles Glücksempfinden herbeiführen. Man möge sich seine Seele dazu als etwas vorstellen, das unabhängig vom leidenden Körper existiert. Das Ich solle sich von allen körperlichen Empfindungen befreien und das Zentrum seines Bewusstseins in die Luft projizieren. Derart losgelöst können wir das gebündelte Übel von außen betrachten. Zwar fungiert unsere Seele in diesem Akt noch immer als Bewusstsein, jedoch steht sie neben sich und entbehrt so der Reizbarkeit des begrenzten animalischen Körpers.

Für seinen zentralen Ratschlag hat Powys eine wunderschöne Metapher gefunden. Im Bild des "ichthyschen Akts" vergleicht er unsere Seele mit einem Fisch, der für einen Moment aus dem Wasser emporschnellt und sein angestammtes Element verlässt. Auf die gleiche Weise, schlägt Powys vor, möge sich unsere Seele aus den Tiefen unseres Seins emporschwingen. Und wie der Fisch durch seinen beherzten Sprung einen Augenblick lang in die jenseitige Dimension eines "Überelements" eintaucht (schließlich würde ein längerer Aufenthalt an der frischen Luft seinen Tod bedeuten), so können auch wir in einem solchen euphorischen Moment das Geheimnis des Lebens und des Sterbens erfahren. Nachdem sich das leidende Subjekt in diesem Vollzug von allen Nöten befreit hat, ist es Zeit für den "panergeischen Akt". Er bündelt vor dem inneren Auge alle Freuden, die das Leben lebenswert machen und ermuntert solcherart zum Glücklichsein.

Finden sich all diese Tipps bereits in den ersten beiden Kapiteln des Buches, so sind Kapitel 3 und 4 aus heutiger Sicht nicht ganz unproblematisch. Powys gibt hier psychologische Anleitungen, wie Frauen mit Männern (und umgekehrt Männer mit Frauen) glücklich werden können. Es sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, dass sich in diesen beiden Kapiteln ein durchaus antiquiertes Rollenverständnis offenbart, das zwar historisch interessant, aber als Ratschlag für unsere Zeit indiskutabel erscheint.

Umso mehr imponiert Powys' gesunder hedonistischer Egoismus, der sich nicht vom Geist seiner Zeit vereinnahmen lässt: "Ich sehe nicht ein, warum die Hingabe an einen kommunistischen oder faschistischen Staat unsere gesamte überschüssige Energie [...] eher binden sollte als die Liebe zum Beruf oder zum Sport, und ebenso wenig sehe ich ein, warum wir es zulassen sollten, dass der Geist, der dafür geschaffen ist, sich dem Kosmos zu öffnen, für politische Zwecke ausgebeutet wird." Wohlgemerkt: Dieses Zitat entstammt einem Buch, dessen englische Originalausgabe im Jahr 1935 erschienen ist. Es hätte uns ohne Zweifel genützt, wenn Powys' lebensphilosophisches Werk in Deutschland schon früher bekannt geworden wäre.

Titelbild

John Cowper Powys: Die Kunst des Glücklichseins. Mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert und Waltraud Götting.
Übersetzt aus dem Englischen von Waltraud Götting.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2002.
298 Seiten, 12,75 EUR.
ISBN-10: 3861503557
ISBN-13: 9783861503552

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