Das Zitat im Zeich(n)en

Zwei Würdigungen des Vaters von "Tim und Struppi"

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hergé (d. i. Georges Remi, 1907-1983) gilt als eine Art Übervater des europäischen Comics. Das bekannteste Produkt seiner Werkstatt ist zweifelsohne "Tim und Struppi". Gerade wegen der weitreichenden Bedeutung ihres Schöpfers aber ist jener nicht unumstritten: der Erfinder des humanistischen Reporters mit der widerspenstigen Haartolle paktierte mit den Nazis und dominierte Europas Zeichnerszene über lange Jahre.

Ohne Hergé vom Sockel stoßen zu wollen, haben Stanislas und seine Kollegen, die für das Szenario verantwortlich zeichnen, nun die Lebensgeschichte des Großmeisters der "ligne claire" (der klaren Linie, d. h. der weitestmöglichen Reduktion von Zeichnung und Handlung) in Comicform erzählt. Dabei arbeiten sie stark fragmentarisch; 16 lose Episoden beleuchten verschiedene Stationen im Leben Hergés: Kindheit, Krieg und Liebschaften sind angesprochen.

So makellos die Gestalt Tim wirkt, so vielschichtig war ihr Schöpfer. In Ansätzen werden die Brüche in Hergés Biographie aufgearbeitet, vor allem aber zeichnet die Comicbiographie ein glaubwürdiges Bild; sie stellt die problematische Persönlichkeit hinter der klaren Linie dar. Berufliche Konflikte (etwa die Irritation ob des Erfolges von "Asterix") werden thematisiert und dramaturgisch genutzt. So entsteht ein Bild, das weit von oberflächlicher Glätte oder Konfliktfreiheit ist, wie Hergé sich selber gerne darzustellen pflegte. Gleichwohl hat Fromental Interviews und Biographien ausgewertet und für dieses Projekt genutzt, wobei er versucht, Hergés klares Kalkül der Selbstrepräsentation zu durchbrechen und den Meister von seiner persönlichen Seite zu zeigen.

Auch der Zeichenstil trägt dem Rechnung: Die intelligente Weiterentwicklung der ligne claire wirkt deutlich wärmer als Hergés eigene, bis heute maßgebliche Setzung. Durch augenzwinkernde Zitate aus "Tim-und-Struppi"- und "Stups-und Steppke"-Alben vermeidet Stanislas, ins Epigonale abzugleiten. Mehr noch: er vermischt Zitat und Szenerien des Lebens von Hergé. Auch paratextuell scheint die Biographie äußerst gelungen, entsprechen doch Ausstattung und Format den deutschen Tim-und-Struppi-Alben.

Die besondere Stellung dieser Comic-Biographie liegt jedoch darin, dass hier - anders als in Art Spiegelmanns "Maus" oder Robert Crumbs "Kafka" - Leben und Werk eines Künstlerkollegen thematisiert werden - in der wohl machbarsten Form, der des Comics nämlich.

Und noch in einer anderen Weise rückt Hergé in den Blick: Die Ausstellung "Ein Blick ins Atelier" widmet sich in der Darstellung zahlreichen Skizzen den Entwickungsstufen von Hergés Schaffen. Entscheidender Pluspunkt des Konzeptes ist das Aufzeigen der Entwicklung von der Skizze - bei der Hergé sich durchaus das Konzept unterlaufende Spielereien zugestand - zur Reinzeichnung. Die Ausstellung wurde ebenso wie der parallel erschienene Katalog vom Wilhelm-Busch-Museum in Zusammenarbeit mit der Fondation Hergé konzeptioniert. Vor diesem Hintergrund wäre eine - zu Frankreich analoge - Veröffentlichung der verschiedenen Versionen einzelner Alben wünschenswert, um Hergés Detailversessenheit im vollen Umfang auch dem deutschen Leser zugänglich zu machen: Manche Alben hat er dreimal komplett neu entworfen.

Titelbild

Jean-Luc Fromental / Jose- Louis Bocquet: Die Abenteuer von Herge.
Carlsen Verlag, Hamburg 2001.
56 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3551744092

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Titelbild

Tim und Struppi - Ein Blick ins Atelier Hergé.
Herausgegeben vom Wilhelm-Busch-Museum.
Carlsen Verlag, Hamburg 2001.
110 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 2930284501

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