Kinderspiele gespiegelt

Käptn Ahab trifft auf Frank Scholke

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wie eine Mutter, die das Neugeborene an ihre Brust legt ohne es zu wecken, verfährt das Leben lange Zeit mit der noch zarten Erinnerung an die Kindheit," schreibt Walter Benjamin in der "Berliner Kindheit um neunzehnhundert". Gänzlich anders verfährt die Erinnerung des Alter Ego von Frank Schmolke. Anders als in Will Eisners hervorragenden Comic-Adaption des Melville-Romans "Moby Dick" geht es Frank Schmolke in "Die Schuld von Moby Dick" nicht um eine Nacherzählung, sondern vielmehr die psychologische Anverwandlung der Erinnerung - und da präsentiert sich die Erinnerung an die Kindheit alles andere als zart. Er erzählt von einer Gruppe Kinder, die in einer Art Räuber-und-Gendarm-Spiel die moralischen Möglichkeiten von Macht und Unterwerfung proben. Anführer der Mächtigen ist ein Scarface genannter Junge, der sich beim Nachspielen des Filmes "Moby Dick" mit Gregory Peck verletzte, eine Narbe davontrug und seitdem als böser Scarface seine Spielkameraden tyrannisiert.

Schmolke, der zur Berliner Comiczeichner-Gruppe "Tentakel" gehört, ist bereits mit der Serie "Spaceboy" hervorgetreten und hat sich mit einer Vielzahl von Mini-Comics einen Namen verschafft. Die an Holzschnitte gemahnenden Panels sprengen in ihrer druch den breiten Stich erhöhten Expressivität oft den Rahmen. Dazu trägt die der kindlichen Physiognomie Rechnung tragende Übertreibung von Mimik, aber auch Gestik bei. Der aufgeraute Strich verbindet Schrift mit Schraffur und bricht die Kadrierung dadurch auf. Die Dominanz der Kontraste wird durch die schwarz-weiße Farbgebung betont; rasche Perspektivwechsel und ungewöhnliche Blickwinkel öffnen das Auge des Lesers für die - in diesem Falle - klaustrophobische Welt der Kinderspiele, die allen Verniedlichungsversuchen einen Spiegel vorhält, in dem sich letztlich auch das Retro-Zitat (Jerry Lewis' Filme, Carerra-Rennbahnen, die Serie Wicki) als hohle Phrase gegenüber der ungleich spannenderen Welt des Weißen Wales erweist.

Titelbild

Frank Schmolke: Die Schuld von Moby Dick.
Edition 52, Haan 2000.
20 Seiten,
ISBN-10: 3935229046

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