Traditioneller Terror

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes legt ein Buch zur Zwangsverheiratung vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang der 80er Jahre wurde die damals gerade 15-jährige Serap Cileli mit einem doppelt so alten Mann zwangsverheiratet, womit sie das Schicksal zahlreicher Moslema in ebenso zahlreichen islamischen Ländern teilt. Sie selbst, die in Deutschland aufwuchs, wurde von hier in die Türkei verschleppt, um dort 'rechtmäßig' verheiratet zu werden. Ist das geschehen, wird eine so zustande gekommene Ehe nämlich auch von deutschen Behörden als rechtsgültig anerkannt, und zwar ungeachtet der Minderjährigkeit des Mädchens. Daher ist es unter islamischen Immigranten ein durchaus nicht unübliches Verfahren, die Mädchen mit Lügen zu einem kurzen 'Urlaub in der Heimat' zu überreden oder, falls das nichts fruchtet, sie mit Zwang in die Herkunftsländer zu verfrachten, um sie mit einem Mann zu verehelichen, den sie vielleicht noch nie gesehen haben, dem sie aber schon vor Jahren, in Ausnahmefällen gar schon vor ihrer Geburt, versprochen wurden. Versuchen die Mädchen sich zu wehren, werden sie von Eltern und Verwandten mit allen nur erdenklichen Mitteln terrorisiert, bis hin zu Morddrohungen, die auch schon mal verwirklicht werden. Andere Mädchen sehen den einzigen Ausweg im Suizid.

Fragt man türkische Eltern, warum sie ihren Töchtern all das antun, erhält man die Antwort: "Es ist unsere Tradition". So berichtet es Cileli in dem von Terre des Femmes herausgegebenen Buch "Zwangsheirat - Lebenslänglich für die Ehre". Cileli kritisiert allerdings nicht nur die Praxis der Zwangsverheiratung, sondern auch das Verhalten deutscher Behörden und Institutionen. Besonders harte Worte findet sie hier für das Zentrum für Türkeistudien. Entweder, so mutmaßt sie, seien dessen Mitglieder "mit der türkischen Tradition der Kindesmisshandlung einverstanden" oder sie verschlössen ihre Augen mit der "bunten Multikulti-Brille".

Weit zurückhaltender formuliert Claudia Eisenrieder ihre Kritik an den Eltern, die ihre Töchter zu einer Heirat zwingen. Wenn sie die "Verwandtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Hintergründe" der Zwangsverheiratungen beleuchtet, so ist das zwar informativ und aufschlussreich, erweckt aber gelegentlich fast den Anschein, als habe sie grundsätzlich ein gewisses Verständnis für die Motive der Eltern und Verwandten und verurteile nur die "barbarischen Methoden der Durchsetzung" einer solchen Heirat, die "in keinem Fall zu dulden" seien.

Im umfangreichsten Beitrag des Bandes beleuchtet die an der Hochschule Niederrhein lehrende Rechtswissenschaftlerin Dorothee Frings die juristische und juridische Seite des rechtlichen Umgangs mit erzwungenen Eheschließungen in Deutschland. Liane Lehnhoff informiert über mögliche Schutzmaßnahmen gegen Zwangsverheiratungen, die ungeachtet der Tatsache, dass der Islam ebenso wie alle großen Religionen das Einverständnis der Ehegatten zur Heirat fordert, insbesondere in islamischen Ländern verbreitet ist. Wieso das so ist, erklärt Claudia Eisenrieder.

Beschlossen wird der Band durch ebenso eindrückliche wie beklemmende Texte von in Deutschland lebenden Mädchen türkischer Abstammung, die zwangsverheiratet wurden.

Titelbild

Terre des Femmes (Hg.): Zwangsheirat - Lebenslänglich für die Ehre.
Terre des Femmes Verlag, Tübingen 2002.
84 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3980616592

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