Ein Herakles im feministischen Augiasstall?

Joachim Eberhardt zur Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das "methodische Bewusstsein" bei der Beschäftigung mit intertextuellen Bezügen "zu schärfen" ist kein geringes Vorhaben. Aber genau diese Aufgabe hat sich Joachim Eberhardt in seiner Untersuchung über Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns gestellt. Sie scheint auch von einiger Dringlichkeit zu sein, bescheinigt er der Bachmannforschung im Umgang mit dem "Phänomen der 'Intertextualität'" doch eine "erstaunliche methodische Naivität". Die ForscherInnen, so klagt er, propagierten oft eine "schlichte 'Subversions'-Theorie der Intertextualität", hingen ihren "Lieblingsgedanken" nach, seien "tendenziös", machten sich einer "bedenkenlose[n] Mixtur aller möglichen Theorien" schuldig, trügen "Scheuklappen", verfolgten ein "feministisches Deutungsinteresse" und lieferten überhaupt "wohlfeil[e]" Interpretationen", die in den allermeisten Fällen "abwegig" seien, wie Eberhardts oft wiederholter Lieblingsvorwurf lautet. Es scheint, als gelte es einen wahren Augiasstall auszumisten. Doch tut sich in solch inflationärem Gebrauch polemisierender Worte wohl eher ein allzu starker Wille zur Profilierung kund, der unter anderem zur Folge hat, dass Eberhardt nichts mehr zuzulegen hat, wenn - was natürlich durchaus vorkommt - wirklich einmal harsche Worte angebracht sind. Die "Schwierigkeiten" der Bachmann-Forschung, erläutert der Autor, seien zumindest teilweise der "ungenügenden Reflexion" in der Intertextualitätsforschung selbst "geschuldet", - womit er offenbar "anzulasten" meint.

Drei Themenkomplexe durchziehen Eberhardts Untersuchung: die Theorie der Intertextualität, die Bedeutung der Intertextualität in Bachmanns Texten und die kritische Auseinandersetzung mit der Bachmannforschung. Zunächst stellt Eberhardt fest, eine "wesentliche Schwierigkeit" bestehe darin, intertextuelle Bezüge überhaupt zu erkennen bzw. den von einem Leser oder einer Leserin behaupteten Bezug kritisch zu prüfen. Hierzu entwickelt er vier "heuristische Kriterien": "Eindeutigkeit und Wahrscheinlichkeit" einer Reverenz, deren "Prägnanz", die "semantische Einbettung" der Stellen im Posttext und die "Motivation" der Bezugnahme im Posttext. Des weiteren unterscheidet Eberhardt zwischen 1. der "'strukturierende[n]' Funktion" einer Reverenz, die "das verknüpfende Moment einer variierten Wiederholung desselben Ausdrucks" ist, 2. einer "'symbolische[n]' Funktion", die vorliegt, "wenn die intertextuelle Referenz als Stellvertreter für den ganzen Text, aus dem sie stammt, oder als Zeichen für etwas anderes steht" und schließlich einer "'einfache[n]' oder 'semantische[n]' Funktion", die durch den "Vorrang ihrer eigenen Bedeutung im Posttext ohne Rekurs auf den Prätext" gekennzeichnet ist.

Eberhardts eigene Analysen intertextueller Bezüge konzentrieren sich zum einen auf den Komplex "Musik als Motiv und Zitat" in Bachmanns Texten und zum anderen auf den Roman "Malina", dem mit 160 Seiten der umfangreichste Abschnitt des Buches gilt. Denn die "Zitat und Anspielung" in diesem Roman betreffenden Ergebnisse der Forschung seien "bestenfalls 'lückenhaft'" zu nennen.

Aus gutem Grund erörtert Eberhardt immer wieder die biographische Möglichkeit von Bachmanns Kenntnis mutmaßlicher Prätexte. Übertrieben, ja geradezu kurios mutet jedoch an, wenn er in Zusammenhang mit Bachmanns 1949 veröffentlichter Erzählung "Das Lächeln der Sphinx" mutmaßt, dass die Autorin die - immerhin zum allgemeinen Bildungskanon gehörende - Stofftradition des Ödipus zwar "aus der Schule, vielleicht auch aus populären Nacherzählungen wie Gustav Schwabs 'Die schönsten Sagen des klassischen Altertums'" gekannt haben könnte, jedoch betont, dass dieses Buch nicht in Bachmanns nachgelassener Bibliothek enthalten ist.

Andere, zunächst banal erscheinende Feststellungen erweisen sich bei näherem Hinsehen als wenig plausibel. So etwa, wenn Eberhardt eine bestimmte intertextuelle Referenz mit der Bemerkung in Zweifel zieht, Bachmann müsse Nietzsches "Unzeitgemäße Betrachtung" mit dem Titel "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" "so genau gelesen" haben, "daß ihr beim Abfassen des Romans der Satz präsent genug war, um auf ihn anspielen zu können". Doch das, so meint er, erscheine "umso unwahrscheinlicher, je länger ein solcher Satz ist und je mehr Schritte der Veränderung interpretiert werden müssen". Eberhardt lässt hier die prinzipielle Möglichkeit außer Betracht, dass auch ein vielleicht nur vage oder gar fehlerhaft erinnerter Satz, der von der Autorin eventuell sogar - erkennbar - einem falschen Text oder Autor zugeordnet wird, in einen Posttext einfließen kann, und mögliche Veränderungen auch dadurch zustande kommen können.

Jedoch versucht sich Eberhardt weniger daran, selbst intertextuelle Referenzen zu erkennen. Vielmehr widmet er sich überwiegend der Kritik der zu Bachmann bereits geleisteten Intertextualitätsforschung. Beinahe schon unredlich ist hierbei sein Umgang mit den zahlreichen Deutungsversuchen der Figurennamen Iwan und Malina. Eberhardt reiht sie über mehrere Seiten hinweg gleich dutzendweise aneinander, offenbar darauf vertrauend, dass sie - die sich natürlich oft genug widersprechen - einander ad absurdum führen. Vorsichtshalber garniert er diese Interpretationen noch mit einigen von ihm selbst ausgedachten, absichtlich besonders abstrusen 'Deutungen', die er hier und da untermischt. Zugegebenermaßen kann das schon mal ganz witzig sein. Allerdings enthebt ihn das nicht einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den vorliegenden Deutungen sowie der Mühe, diese auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Seine Bemerkung, dass die Figur Maria Malina "werkgenetisch älter als die ihres Bruders" ist, wischt die Deutungen, die der Name der männlichen Figur "Malina" erfahren hat, jedenfalls nicht einfach samt und sonders vom Tisch.

Nach einem Wort der Zustimmung, gar der Anerkennung muss man in Eberhardts Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Bachmann-Forschung lange suchen. Ungleich großzügiger teilt er Kritik aus, wobei seine Schelte insbesondere Sigrid Weigel gilt, deren Interpretationen "typisch für die rationalitätskritische, wo nicht -feindliche Haltung vor allem des feministisch-dekonstruktivistischen Zweigs der Bachmann-Forschung" seien, dem Eberhardt zufolge drei "Prämissen" zugrunde liegen: Zunächst werde "Rationalität und patriarchales Denken miteinander identifiziert", sodann werde die Überwindung dieses Diskurses propagiert; und schließlich orientiere man sich an Bachmanns "bekannte[r] Prägung durch den 'Logischen Positivismus' und den 'frühen Wittgenstein'". "In jüngster Zeit", so fügt er hinzu, habe "vor allem Weigel" - Adorno und Benjamin "als Bezugsgrößen für Bachmanns 'Überwindung' dieser 'rationalen' Philosophie ins Feld geführt" - womit er den zweiten an Weigel gerichtete Vorwurf benannt hat. Außer zum Feminismus neige Weigel nämlich dazu, "den Teufel einer Überbewertung der 'klassischen' Philosophie mit dem Beelzebub der Überbewertung ihrer eigenen Penaten auszutreiben". Diese Kritik macht Eberhardt vor allem an Weigels Buch "Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses" (vgl. die Rezension von Christine Kanz in literaturkritik.de 6/1999) und einer dort vorgetragenen Beweisführung fest, der zufolge Adorno und auch Benjamin Bachmanns literarisches Schaffen beeinflusst haben.

Eberhardts Einwände gegen Weigel zeichnen sich allerdings durchaus nicht immer durch besondere Überzeugungskraft aus, und es scheint nicht ganz unwahrscheinlich, dass dies auch von Monika Albrecht und Dirk Göttsche so gesehen wird. Jedenfalls vertrauten die beiden HerausgeberInnen des jüngst erschienenen Bachmann-Handbuchs Eberhardt in dem Kapitel "Kontexte und Diskurse in Bachmanns Werk" zwar die Abschnitte über "Existentialphilosophie und Existentialismus" sowie über "Sprachphilosophie und poetologische Sprachreflexion" an, nicht jedoch denjenigen über "Kritische Theorie und Soziologie". Marion Schmaus, die diesen Teil verfasst hat, konstatiert denn auch in Übereinstimmung mit Sigrid Weigel, dass Ingeborg Bachmann sich "von der Studienzeit bis zum 'Todesarten'-Projekt" mit der kritischen Theorie befasst hat, wobei sie intertextuelle Bezugnahmen zu Adorno und Benjamin hervorhebt.

Titelbild

Joachim Eberhardt: Es gibt für mich keine Zitate. Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2002.
520 Seiten, 82,00 EUR.
ISBN-10: 3484181656

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