Freiluftgeschichten

Kathrin Rögglas "Irres Wetter" gibt es nun als Taschenbuch

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kathrin Rögglas Prosa-Band "Irres Wetter" ist eine Art meteorologische Forschungsstation für das, was sich Gegenwart nennt. Was sagt das Barometer? "immer dünner wird es in dieser luft." "Freiluft" wäre deshalb die Rettung, weil draußen ja überhaupt "irres wetter" herrscht. Aber auch damit ist es nicht weit her, schon wird etwas nachgeschoben: "es gibt da ein problem."

Der Probleme gibt es für die Figuren einige, und man könnte sie etwa so zusammenfassen: Vor lauter Gegenwart sieht keiner mehr die Wirklichkeit - an der sind "doch die meisten gar nicht mehr dran". Die Love Parade findet sich vor lauter Menschen nicht mehr, "sachzwänge" regieren, "think-positive-hardliner" haben das Sagen, aus den "startlöchern" geht es nicht mehr heraus, die Leute sind "durchgeknallt" in "paralleluniversen". Und dabei versucht jeder noch ein angenehmes Schlupfloch für sich zu finden, und wenn es nur der "bankomaaat" ist. Kurz: Die Großwetterlage steht eher auf Sturm, für viele ist das Leben allerdings nicht mehr als ein laues Lüftchen, and you don't need a weatherman to know which way the wind blows.

Woher der Wind bläst: Um diese Frage wirbeln die neuen Texte der 1971 in Salzburg geborenen Autorin, die sich nun schon seit einigen Jahren die Berliner Luft um die Nase wehen lässt. Und an der ist der Klimawechsel in der Republik - Investitions-, Innovations- oder politisches Klima steht auf den Wetterkarten - wohl am besten abzulesen: "geld machen wie heu wollen im prinzip jeden augenblick alle, die volksdroge rendite geht um, kaum aus dem kaugummiautomaten raus ist man, schon will man zinsen sehen, kapitalausschüttungen noch und noch: abgreifen, aussaugen, abschöpfen." Man ist von Kopf bis Fuß auf Kapitalismus eingestellt.

Bei Röggla schwappen das Jetzt und die Gesellschaft mit ihren neuen Leitwerten und Widersprüchen in die Literatur hinein und bringen den hochartistischen Textstrom in Fahrt. Schon in ihrem ersten Buch, den Prosastücken mit dem Titel "Niemand lacht rückwärts" aus dem Jahr 1995, war das so. Und natürlich in ihrem rasanten Roman "Abrauschen" von 1997. Bei beiden Büchern fasziniert, wie Beobachtungen in den Text einfließen: ein verwegen-experimentelles Schlingern, das sich vom Rand her ins Zentrum der Realität bewegt, eine immense Wahrnehmungssensibilität und eine Sprache, die so poetisch ist wie sie einem schonungslos die Welt um die Ohren haut. Szenen reißen ab, schieben sich ineinander. Redewendungen und Wortfetzen, die im Alltag herumschwirren, streunen zerstückelt, immer auch latent bedrohlich, durch den Textraum und gehen mit anderen Satzteilen kuriose Verbindungen ein. Mit "Irres Wetter" wird dieses Programm - wütend fast - fortgesetzt.

Nach einer Gattungsangabe sucht man allerdings vergeblich. Das Buch verweigert diesbezüglich jede Aussage. Was man weiß: Insgesamt hat Röggla 20 Prosatexte versammelt, wie in den vorangegangenen Büchern sind alle Wörter konsequent klein geschrieben (da ragt keines über ein anderes hinaus), und die Länge der "Geschichten" variiert zwischen drei und 26 Seiten. Die Texte können sich nicht recht entscheiden, ob sie nun kurze Erzählungen, feuilletonistische Stadt- und Landschaftserkundungen oder zeitdiagnostische Porträts von meist jüngeren Großstädtern sein wollen. Von allem etwas vielleicht. Das macht einen fragmentarischen, provisorischen Eindruck. Aber nur so kann noch von heutigen Menschen und Städten erzählt werden. Mit der Linearität von Lebensplanungen ist es nicht mehr weit her. Wer also denkt, ein "knallhartes profilbild von dieser gegend geliefert zu bekommen, "mit dem rückenwind der laufenden ereignisse", ist schief gewickelt.

Gleichzeitig schreibt Röggla an gegen Lebensgefühle, die Kontinuität vorgaukeln, die überall lauern und längst nur noch die verinnerlichten Werte einer beschleunigten, spätkapitalistischen Gesellschaft repräsentieren. Ihr gelingt es, die aus den nebensächlichsten Bemerkungen sprechenden Ideologien poetisch zu entlarven. Auf die Vokabel gebracht wird das in dem immer wieder verwendeten Pronomen "man" - darin kulminiert das Einschwenken auf die Verhältnisse: "so zum spaß erhebt man keinen einspruch", "sagt man normalerweise". Ein Vorwärtskommen scheint so nicht mehr möglich. Doch Stillstand ist auch was anderes: "und so laufe ich und laufe, ich laufe, und keiner hält mich hier zurück. ja, nicht aufhören, sich zu bewegen, sonst wird man beton, nicht aufhören, sich zu bewegen gehört heute zum guten umgangston. und so laufe ich und laufe, und während ich laufe, fällt es mir endlich auf: ich laufe und laufe nicht rückwärts, doch fühlt es sich gerade so an." Die Kampfbegriffe Flexibilität und Mobilität regieren zwar, aber der innere Fortschritt hält da schon lange nicht mehr mit.

Wo zwischen "gesten und deren inhalt [...] kein notwendiger zusammenhang" mehr besteht, wird gerade in der Literatur von Kathrin Röggla auf Zusammenhängen bestanden. Die Verbindungsfäden lassen sich allerdings weniger an einer stringenten Handlung aufrollen. Sie knüpfen sich eher zwischen Motiven und Konstellationen. Bestimmte Signalwörter sind als Eckfahnen in diese Textgeographie gesetzt: Gegenwart, Paralleluniversum, 90er, Mitte. Und das Spielfeld heißt Berlin. Dort wird von den Susannes und Martins, den Sibylles und Carstens an Biografien gebastelt, an Fluchtwegen und an Wohnlandschaften, an persönlichen Stadtkarten: "sich allein auf mental maps auszuruhen geht eben nicht, werden sie sagen. sicher, es gilt, möglichst schnell zu einem psychischen stadtbild zu kommen, mit den orten muß man gemeinsam sein".

Die Kleckse, die das Cover von "Irres Wetter" zieren, zielen schon ziemlich genau auf den Fluchtpunkt dieser Geschichten: Mitte. Da zentrieren sich die kleinen dunklen Farbtupfer, da braut sich was zusammen, da wird was angesogen. Jeder will mittenmang sein - dabei ist Mitte nicht nur der gleichnamige Stadtteil Berlins, sondern auch die mehr oder minder angestrebte Position in der Welt. Und mitten rein ins Zentrum von dem, was Welt ist, platzen die kleinen Schnipsel, die Wahrnehmungen, Gesprächsfetzen, Lebensent- und verwürfe.

So forschen die Episoden mit allen zur Genauigkeit nötigen Widersprüchen verloren gegangenen Gewissheiten und Sehnsüchten nach. Und zeigen, wie man trotzdem nicht gänzlich aus alten "begriffsmänteln" schlüpfen und dann vollkommen verloren in die ironisch aufbereitete Diffusität der Postmoderne abtauchen muss. Wenn Röggla die Gemeinplätze - das Wort bekommt hier tatsächlich lokalisierbaren Sinn - auseinander nimmt und aufeinander prallen lässt, explodiert auch etwas im Kopf des Lesers. Nach der Lektüre wird einem das vertraute Sprechen fremd. Was nicht das Schlechteste ist.

Diese Methode des Sprachexperiments hat zugleich einen angenehmen Drall ins Selbstreflexive. In "eine reihe von ausflügen" klärt die Ich-Erzählerin, eine Fotografin, über ihre Kunst auf: "fragt sie auch schon, ob ich denn glaube, man könne das wiedergeben, die stimmung da auf fotos einfangen - antworte ich ihr, daß ich diesen anspruch nicht hätte. das übliche: fotos seien auch fiktion." Texte natürlich auch. Und Rögglas Texte stimmen, gerade weil sie keine Stimmungen erzeugen, sondern sie im Gegenteil immer wieder kaputt hauen.

Titelbild

Kathrin Röggla: Irres Wetter.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
166 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3596151317

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