Pop goes to College

"Popkulturtheorie" in einem Sammelband von Jochen Bonz

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pop als kulturelles Phänomen hat sich im akademischen Kontext vom belächelten Sonderthema zu einem ernstzunehmenden Forschungsfeld entwickelt. Einige interessante und wichtige Beiträge dazu sind in den letzten Jahren im Mainzer Ventil Verlag erschienen, so auch der vorliegende Sammelband von Jochen Bonz.

Bonz, Jahrgang 1969, war vor fünf Jahren mit seiner Essaysammlung "Meinecke, Mayer, Musik erzählt" in Erscheinung getreten und hat dann 2001 im Suhrkamp Verlag den Pop-Reader "Sound Signatures" herausgegeben. Für "Popkulturtheorie" nun hat er Beiträge unterschiedlicher Autoren zusammengestellt, den Kontext dazu lieferte die Tagung "Popkulturtheorie zwischen Kontextualität und Subjektivität", die 2001 im Bremer Institut für Kulturforschung stattfand.

Der Ansatz für diese Zusammenstellung, den Bonz (hier nach Lacan) beschreibt, ist der, dass nicht die Definition einer Sache im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern ihre verschiedenen, empirisch sichtbaren Erscheinungsformen, und dass deren Entstehung, Entwicklung sowie ihr Einfluss auf die sie umgebenden kulturellen Kontexte beobachtet wird.

Entsprechend unterschiedliche Aspekte der Popkultur werden in den acht Essays betrachtet:

Überaus interessant und ergiebig und damit sicher einer der besten Texte des Buches ist Susanne Binas' "sound shifts". Ihre zentrale These ist, dass durch Abweichung und Differenz erst Bedeutung entsteht, und dass die wechselseitige Durchdringung von Kulturen jeglicher Couleur eine ständige Veränderung dieser Abweichung nicht nur möglich, sondern auch notwendig macht.

Stefanie Menrath untersucht in ihrem Text "represent what?" die Performativität von Identitätskonstruktionen im HipHop und kommt dabei nicht nur auf Judith Butler zu sprechen, sondern identifiziert auch den Prozess einer ständigen Neuerfindung der eigenen Identität als elementaren Bestandteil der black culture: "repetition with a difference" lautet ihre Formel.

Repräsentation und "realness" beziehen sich nach Menrath nicht auf bestehende (beispielsweise soziale) Realitäten, sondern vielmehr wird "realness" bzw. Authentizität erst im Moment des performativen Prozesses, nämlich der Repräsentation (auf der Bühne, auf der Straße etc.) produziert. Auch der Bezug zur Außenwelt von HipHop geschieht so auf eine szeneinterne Weise.

Dieser Ansatz findet sich auch bei Eckhard Schuhmacher wieder. Er untersucht die Rolle von Pop als Sprache, die zwei Funktionen erfüllt: Sie lässt nicht nur eine fremde Sprache (Englisch) vertraut werden, sondern schafft auch gleichzeitig eine Distanz zur eigenen Herkunft und Sprache (Deutsch). Als Beispiel dient ihm dabei die Beschäftigung Rolf-Dieter Brinkmanns mit der amerikanischen Literatur in den sechziger Jahren. Es wird klar, dass Pop immer auch als Neu- und Uminterpretation vorhandener Kommunikation abläuft, und dass das Wechselspiel und die Rückkopplung zwischen den dabei eingebundenen unterschiedlichen Elementen für Pop und seine Entwicklung quasi lebenswichtig ist: "mit Vorhandenem etwas anderes als das Intendierte zu machen, [...] vorhandene Assoziationsmuster zu durchbrechen", wie Rolf-Dieter Brinkmann schreibt. Nur so - und nicht etwa über explizit politische Inhalte - könne Literatur auch zu einem Politikum werden. Wie bei Menraths HipHop-Darstellung also auch hier wieder eine Auflösung der Strukturen durch eine "verschobene Wiederholung": repetition with a difference.

Christian Höller beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Verarbeitung des 11. September im Pop und stellt dabei fest, dass gewisse apokalyptische (Vor-)Zeichen schon immer Teil der Popkultur waren und Katastrophenszenarien durch diese Vorwegnahme im Pop erst denkbar und damit planbar wurden. (Interessant hierbei sein augenzwinkender Hinweis auf die "Ragga-Szene, die den Babyloniern samt ihren Türmen schon lange den Untergang predigen").

Insgesamt beschäftigt sich Höller mit der Verbreitung und Ausweitung von popkulturellen Bildern, ja von Pop allgemein in sämtliche Bereiche kulturellen, sozialen und politischen Lebens: Wo alles zu Pop wird, verliert der Begriff selbst seine Grenzen und damit seine Existenzberechtigung. Die Synthese von Pop und Welt findet nach Höller auf drei Ebenen statt: Nicht nur werde das individuelle Subjekt durch Pop geprägt, sondern fänden auch Austauschbeziehungen und Wechselwirkungen zwischen Pop und allen anderen Bereichen (Mode, Film, Kunst, Sport, Werbung etc.) statt. Darüber hinaus schaffe Pop auch durch sich und über sich hinaus kulturübergreifende Lebens- und Identifikationszusammenhänge.

Herausgeber Jochen Bonz setzt sich in seinem Essay eingehend mit der weiblichen Subjektposition im Pop (er nennt sie "King Girl") auseinander, und zieht dabei auf der Basis der psychoanalytischen Theorien Jaques Lacans eine ethnologische Musikstudie von Sarah Baker und autobiographische Aufzeichnungen Julie Burchills und Heike Blümners heran.

Leider etwas schwächer als der Rest des Buches sind zwei Beiträge von Katharina Tietze und Rajko Muršic. Katharina Tietze stellt auf Seminararbeitslänge die Rolle des Theaterstücks "Die neuen Leiden des jungen Werther" von Ulrich Plenzdorf in Zusammenhang mit der Popularität und anschließenden Eigenproduktion von Jeanshosen in der DDR der siebziger Jahre. Leider merkt man diesem Aufsatz seinen Seminararbeitsstil zu sehr an, der ganze Zusammenhang bleibt nur skizzenhaft, und das gewählte Beispiel "Jeans in der DDR" bleibt nur ein Beispiel. Es wird nur auf das Phänomen hingewiesen, aber eine tiefergehende Auseinandersetzung damit findet nicht statt.

Etwas fragwürdig auch die Betrachtungen von Rajko Muršic über Punks in einem slowenischen Dorf. Die gemachten Beobachtungen sind dabei so evident, so allgemein und so wenig neu oder speziell, dass nicht nur das Beispiel "slowenisches Dorf" ergebnislos bleibt, sondern auch die beigefügten Grafiken zu den verschieden vom Autor angesprochenen sozialen Systemen geradezu lächerlich erscheinen. Die kontroversen Standpunkte von Subkultur und Mainstream sind durchaus schon erschöpfender und weitblickender dargestellt worden.

Anja Rosenbrock stellt abschließend die Frage, ob man den Prozess der Liedentstehung bei Pop- und Rockbands als "Komposition" betrachten bzw. bezeichnen kann. Sie hat Musiker verschiedener Bands nach ihrer Arbeitsweise befragt und dabei untersucht, inwieweit sich - nach traditionellen oder modernen Kriterien - kompositorische Elemente in diesen Prozessen finden lassen.

Auch wenn die Texte in diesem Buch manchmal etwas gekürzt sind und dadurch und aufgrund ihrer Auswahl ausschnitthaft bleiben, so finden sich hier dennoch interessante und wichtige Beiträge zur - relativ neuen - Disziplin der Popkulturforschung.

Sehr lesenswert.

Titelbild

Jochen Bonz (Hg.): Popkulturtheorie.
Ventil Verlag, Mainz 2002.
158 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3930559935

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