Anders sein

Hans J. Massaquois "Neger, Neger, Schornsteinfeger" beschreibt eine Kindheit in Deutschland

Von Ute LimanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Liman

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Neger, Neger, Schornsteinfeger!" rufen die Hamburger Kinder im Arbeiterviertel Barmbeck dem kleinen Hans-Jürgen Massaquoi hinterher. Der Sohn einer deutschen Krankenschwester und eines liberianischen Vaters fällt im Deutschland der zwanziger und dreißiger Jahre wegen seiner dunklen Hautfarbe auf.

Seit seiner Geburt (1926) lebt Hans Massaquoi bei seinem Großvater, einem angesehenen liberianischen Generalkonsul, in großbürgerlichen Verhältnissen. Als der liberianische Teil der Familie Deutschland den Rücken kehrt, bleiben Hans-Jürgen und seine Mutter verarmt zurück. Die neue Situation bedeutet für Hans, dass er sich nun in einer fremden nicht allzu freundlich gesinnten Welt behaupten muss. Hier beginnt die Autobiographie aus der Sicht eines Jungen, der sein "Anders-Sein" zunächst nicht sieht. In zahlreichen Anekdoten erzählt Massaqoui locker-flockig aus seinem Leben. Er schreibt über einen Jungen, der sich trotz schwarzer Kraushaare als Deutscher fühlt und der die gleichen Ideale hat wie seine Freunde.

Auch Hans ist fasziniert von Hitler, dem neuen starken Führer Deutschlands. Begeistert bejubelt er den Mann, der sich der Vernichtung nicht-arischen Lebens verschrieben hat. Den Bezug zwischen Hitler, den Nazis und seiner Person kann der Grundschüler noch nicht herstellen. Als er nicht in die Hitlerjugend aufgenommen wird und sich die diskriminierenden Vorfälle häufen, leidet sein Selbstbewusstsein. Erst als seine Mutter aufgrund der "Rassenschande" ihre Arbeit verliert und er als Zehnjähriger von seinem Lehrer zu hören bekommt: "Wenn wir mit den Juden fertig sind, kommst Du auch noch dran", fängt er an zu begreifen, dass auch er sich in Gefahr befindet.

Massaquoi beschreibt, wie er sich mit seiner Mutter durchs Leben wurstelt. Die beiden überleben mit viel Glück den Krieg, der vielen seiner Klassenkameraden das Leben kostete. Hans muss später jedoch in Afrika und Amerika feststellen, dass der Rassismus ein weltweites Phänomen ist, das noch lange nicht überwunden ist.

Diese faszinierende Autobiographie ist keine Abrechnung eines verbitterten Mannes mit Deutschland. Es ist ein Buch, in dem Hans Massaquoi viele kleine Geschichten und Begegnungen mit Zeitgenossen beschreibt und so eine besondere Perspektive des Alltags im dritten Reich bietet. Sehr anschaulich beschreibt er die Wirkung der Naziherrschaft auf Kinder, die von den großen Militärparaden beeindruckt wurden. Es gelingt ihm, die teuflischen Verführungskünste der Nazis und die ideologische Durchdringung der Gesellschaft zu beleuchten. In seinen Erzählungen setzt er ihren Terror zu unbeschwerten Kindheitserinnerungen in Bezug und gibt mit viel Witz einen besonderen Rückblick.

Titelbild

Hans J. Massaquoi: Neger, Neger, Schornsteinfeger. Meine Kindheit in Deutschland.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2001.
512 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3426618540

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