Trübsal kommt zu Wort

Anton G. Leitner gibt 50 Gedichte aus zehn Jahren "Das Gedicht" heraus

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er beugt sich vor,/ denn er will bei ihr landen./ Er lehnt sich zurück,/ denn er will, daß sie sieht:/ Bei mir ist wirklich alles vorhanden!/ Es ist unterm Strich/ das uralte Lied,/ daß er/ spricht und spricht und spricht:/ Frauen! Die Männer verdienen sie nicht."

Mit Grabesstimme liest Otto Sander diese Verse Robert Gernhardts, die Komik stirbt den Sprechertod. Otto Sander ist, keine Frage, ein vorzüglicher, auf Balladen spezialisierter Interpret, und hinreißend weiß er "John Maynard" vorzutragen. Doch das blitzende Florett eines Robert Gernhardt ist seine Sache nicht, und auch einen Ernst Jandl kann er stimmlich nicht führen - hier wird ein Feuerkopf aufs Besinnlich-Bedächtige reduziert, ja egalisiert. Trübsal kommt zu Wort.

Lyrik, so führen es die Sprecher des vorliegenden Hörbuchs vor, ist ernst, deutsch und schwer. Das Spielerische, Leichte, Flüchtige, Changierende moderner Poesie hingegen verschwindet im Klangteppich der bemühten, andächtigen, feierlichen, getragenen Sangeskunst derer, die noch mit dem "Kunst ist ewig"-Postulat unserer Altvorderen aufgewachsen sind, die der Mythisierung der Poesie Vorschub leisten und sie als Bekenntnis und Wahrspruch verstehen.

Die Zeitschrift "Das Gedicht" hat sich in den elf Jahren ihres Bestehens zu einem wichtigen Forum für heutige Poesie entwickelt. Ihr ästhetisches Programm ist konservativ, auch wenn sie sich um "alle nennenswerten Strömungen der zeitgenössischen Lyrik" bemüht. Nun hat Anton G. Leitner eine persönliche Auswahl aus zehn Jahren "Das Gedicht" für ein Hörbuch zusammengestellt. Seine Kriterien: Die Texte sollen "nachgewirkt haben", "repräsentativ", deutschsprachig und mehr als nur "unterhaltsam" sein. Vertreten sind Texte von Andreas Altmann, Friedrich Ani, Jürgen Becker, Bastian Böttcher, Jürgen Bulla, Hilde Domin, Nikolaus Dominik, Werner Dürrson, Hans Eichhorn, Adolf Endler, Gerhard Falkner, Robert Gernhardt, Eugen Gomringer, Günter Grass, Durs Grünbein, Georges Hausemer, Kerstin Hensel, Franz Hodjak, Ernst Jandl, Matthias Koeppel, Jan Koneffke, Jean Krier, Franz Xaver Kroetz, Karl Krolow, Michael Krüger, Johannes Kühn, Karl A. Kühne, Günter Kunert, Michael Lentz, Hermann Lenz, Rainer Malkowski, Kurt Marti, Friederike Mayröcker, Gerhard Neumann, Hellmuth Opitz, Oskar Pastior, Matthias Politycki, Arne Rautenberg, Gerhard Rühm, Said, Joachim Sartorius, Kathrin Schmidt, Dorothee Sölle, Johano Strasser, Sabine Techel, Hans-Ulrich Treichel und Paul Wühr. Einige wenige Autoren kommen selbst zu Wort, die Mehrzahl der Gedichte wird abwechselnd von Susanne Lothar, Dieter Mann, Ulrich Mühe und Otto Sander interpretiert.

Anton G. Leitner, selber mit einem Gedicht vertreten und zugleich bairischer Herausgeber des Hörbuchs, ist in den letzten Jahren als nimmermüder Propagandist seiner 1992 gegründeten Zeitschrift bekannt geworden. Das Hörbuch ist ein erneuter Beleg für seine Effizienz. Ich hätte nie gedacht, daß man es mit einer so 'ausgeschamten' Reklame für das Eigene so weit bringen kann, aber auch "aufgeworfene Maulwurfshügel" fallen ins Auge. Wie heißt es in seinem Herbstgedicht: "Die strahlende Illusion färbt ab."

Titelbild

Anton G. Leitner (Hg.): Wörter kommen zu Wort. 50 Gedichte aus 10 Jahren. 1 CD.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2002.
63 Minuten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3491911109

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