Comme Berlin est beau ...

Erzählt Carmen-Francesca Banciu in "Berlin ist mein Paris" einfach nur "Geschichten aus der Hauptstadt"?

Von Nils MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus dem Schutzumschlag lächelt sie uns entgegen, die Autorin Carmen-Francesca Banciu. Die Szene ist offensichtlich ihrem Arbeitsalltag entnommen: Sie sitzt im Café, mit dem Rücken zu einer Wand, deren frischer Anstrich und Ausstattung mit modernsten Lampen leicht auf eine Lokalität im Osten Berlins schließen lässt. Der Tisch vor ihr ist mit Kaffeetasse und einer Karaffe Leitungswasser bestückt, wie man das in einem ordentlichen Lokal erwarten darf. An jenem Tisch sitzt sie, einen Stift in der Hand und ein aufgeschlagenes Notizbuch vor sich, und das zur Kamera geneigte Haupt lässt vermuten, dass sie gerade bei ihrer Arbeit - am vorliegenden Band? - überrascht wurde.

"Geschichten aus der Hauptstadt" - 44 an der Zahl - sind versprochen. In Zeiten, da Wladimir Kaminer uns auch im Fernsehen all die Tollheiten der künftigen deutschen Metropole präsentieren darf, klingt solche Ankündigung eher nach gepflegter Langeweile. Und wer's dem Namen nach nicht erraten hat wird im Klappentext darüber aufgeklärt, dass Banciu gebürtige Rumänin ist; seit 1990 in Berlin ansässig. Aha! Eine weitere Exilautorin also. Warum schreiben eigentlich keine eingesessenen Berliner über ihre Stadt? Wer ist denn nun der richtige Berliner, mit Leib und Seele? Das muss dahingestellt bleiben, Banciu jedenfalls protestiert in Interviews energisch dagegen, als "Einwohnerin unter Vorbehalt" wahrgenommen zu werden. Und das mit Recht.

Denn kundig führt sie den Leser durch ihre Geschichten, ihre Stadt und erzählt vielleicht reale, vielleicht fiktive Begebenheiten. Chronologisch korrekt setzt die Geschichtensammlung mit der ersten Reise der Autorin von Rumänien nach Berlin ein. In der Folge beschränkt sich der Bezug zur "alten" Heimat aber auf Randbemerkungen. Die Emigration soll nicht ihr Thema sein. Eigenem Bekunden nach sind es geschäftiges Treiben, ständige Veränderung und die breit gefächerten Möglichkeiten künstlerischer Entfaltung, die Banciu an Berlin fesseln, und an dieser Stelle möchte sie ihrer Faszination Ausdruck verleihen.

Das tut sie, indem sie die Menschen in ihrer Umgebung porträtiert. Sei es Ed Keinholz' Apartment, das Restaurant "Milano" oder das "Café Sale e Tabacchi": In warmen Worten erfreut sich die Erzählerin der Vielheit der Menschen, die hier ihren unterschiedlichsten Beschäftigungen nachgehen können. Zwar wurde ihr bereits der Vorwurf gemacht, sie zwinge sich, ihre Stadt zu lieben, doch das muss Unterstellung bleiben. Ihre Geschichten sind warm, vielleicht nicht spektakulär, jedenfalls aber von höherem sprachlichen Niveau als der Großteil der aktuellen "Berlin-Literatur". Manche, wie die über den Taxifahrer Detlef, der seinerseits von einer nächtlichen Fahrt mit der traurigen Yolanda erzählt, wirken überbordend sentimentalisch, und darin sehr konstruiert. Doch leidet der Ton des Buches insgesamt nicht darunter.

Die eindrucksvollsten Passagen sind jene, die in den Stammcafés der gesellschaftsliebenden Schriftstellerin angesiedelt werden: "Schmollmundrot" liest sich wie ein Lehrbuch für den praktizierenden Schriftsteller. Banciu demonstriert hier an den Gästen des Cafés ihr Talent zur detaillierten Beobachtung wie auch ihre erzählerische Phantasie. Sie schreibt letztlich über sich und das Schreiben, so wie es viele tun. Gemeinsam mit dem Leser beobachtet sie sich selbst, wie sie aus dem Detail eine dazugehörige Geschichte spinnt, wobei alles im Rahmen des Möglichen und Wahrscheinlichen bleibt, ausgedrückt in nüchternen Worten. Die von Banciu als so anregend empfundene Atmosphäre der sich verändernden Großstadt gibt eine passende Kulisse ab für ihre kleinen Geschichtchen von solch hoher Erzählkunst.

Titelbild

Carmen-Francesca Banciu: Berlin ist mein Paris. Geschichten aus der Hauptstadt.
Ullstein Verlag, Berlin 2002.
192 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3898340538

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