Die höchste Begabung sei Leichtigkeit

Verstreute Annotationen zu Heinrich Manns jüngst publiziertem Briefwechsel mit Félix Bertaux

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heinrich Mann und Frankreich bilden ein feststehendes Begriffspaar: Frühestens seit seiner immer wieder als Erstling verkauften Gesellschaftssatire "Im Schlaraffenland", die ihre Vorläufer in Maupassants "Bel Ami" suchte; mindestens seit seinem berühmten Zola-Essay, mit dem er Position gegen das imperialistische Kaiserreich und seinen Bruder bezog; vielleicht auch erst seit seinen auf Ausgleich mit dem ehemaligen Erbfeind in einem geeinten Europa bedachten Essays der Weimarer Republik; spätestens jedoch seit seinen 1935/38 im französischen Exil publizierten Henri-Quatre-Romanen ist diese Verbindung aus der intellektuellen und privaten Biografie Heinrich Manns nicht mehr wegzudenken.

Mit dem im Verlag S. Fischer publizierten Briefwechsel zwischen dem französischen Germanisten Félix Bertaux und dem in Lübeck geborenen Schriftsteller Heinrich Mann liegt nun ein beeindruckendes Dokument intellektueller Geistesgeschichte aus mehr als zweieinhalb Jahrzehnten vor. Es sind 26 entscheidende Jahre europäischer Kulturgeschichte, die den vom 27. Mai 1922 bis zum 20. März 1948 dauernden und nun umfangreich dokumentierten Briefwechsel als ständigen Subtext begleiten.

Zum größten Teil sind es die erhaltenen Briefe von Heinrich Mann, die diese Arbeits- und Geistesfreundschaft nachvollziehbar werden lassen. Vor allem aus der wechselvollen Zeit der Weimarer Republik ist es - trotz einiger unlängst wiederentdeckter Briefe im Prager Stadtarchiv, die glücklicherweise noch Eingang in die Edition fanden - im wesentlichen die Stimme Heinrich Manns, die zum Leser spricht. Unterbrochen von den fast jährlich stattfindenden Treffen ist dadurch das französische Exil die am besten dokumentierte Zeit. Nach der Emigration in die USA bricht der Briefwechsel ab, um mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges für kurze Zeit - nun schon durch die Krankheit Félix Bertaux gekennzeichnet und verzögert - bis zum Tode des Französischen Weggefährten aufzuleben.

In diese große Geschichte schreibenden Ereignisse von der Inflation und dem Machtwechsel in Deutschland bis zur Flucht aus Frankreich nach Amerika, die selbstverständlich Dauerthema sind, betten sich jedoch auch Reflexionen persönlichster Art ein. Obwohl das "Sie" trotz innigster und durchgängig präsenter Freundschaftsbekundungen als Standardanrede beibehalten wird und Heinrich Mann auch gegenüber Bertaux seinen Erstling "In einer Familie" (1894) verschweigt, finden sich neben den zunehmend pessimistischeren Verlautbarungen zu den Ursachen des Naziregimes, dem Ende und den Folgen des Krieges auch persönlichste Bemerkungen, so etwa zum Scheitern von Heinrich Manns erster Ehe. Auch die Berichte über Félix Bertaux' Sohn, Pierre, der einige Zeit in Deutschland studierte, fließen in die Briefe ein.

Gleichzeitig entwerfen die Briefe ein eindringliches Charakterbild des Lübecker Kaufmannssohns, der sich gegenüber Bertaux selbst als "Einzelgänger" bezeichnet. So kann man vielleicht erstmals hier die fragile Balance zwischen jenem aus den Essays bekannten emphatischen Intellektuellen und dem sensiblen und viel Wert auf intensive persönliche Bindungen legenden Privatmenschen Heinrich Mann erkunden. In diesem Zusammenhang mag die einem Brief vom September 1933 entnommene Titelzeile dieses Beitrages ebenso als symptomatisch gelten, wie eine knapp zehn Jahre später getätigte Äußerung Heinrich Manns. So schreibt er seinem Freund im April 1945, auf die Frage, wann und ob er denn nach Europa zurückkäme: "Die Scham hält mich ab, und schlimmer noch, es erschiene mir ungehörig und peinigend taktlos, zurückzukehren ohne die, die ich mitnahm und nicht wiederbringe."

Neben diesen sehr persönlichen, fast intimen Mitteilungen werfen die Briefe aber auch einen nüchternen Blick auf den Alltag eines Schriftstellers. So jammert Heinrich Mann über die sich veränderten Leserschaften zu Beginn der 20er Jahre und die sich daraus ableitende Notwendigkeit, zu Weihnachten jede Zeitungs- und Zeitschriftenanfrage bedienen zu müssen. Er beklagt sich über die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit, berichtet von den Dreharbeiten zum Film "Der blaue Engel" und von den geplanten und absolvierten Vortragsterminen und -reisen. Félix Bertaux ist ebenfalls nicht nur Freund, sondern gleichsam die Schaltstelle nach Frankreich. Er ist für die antiquarische Komplettierung von Heinrich Manns französischer Bibliothek ebenso verantwortlich, wie er sich als Verhandlungsführer, Agent, Übersetzer und Kritiker von Heinrich Manns Werken engagiert und verpflichten lässt. Aber auch zum Vermittler und Fürsprecher wird Bertaux anlässlich einer möglichen Nominierung für den Friedensnobelpreis Ende der 30er Jahre. Darüber hinaus obliegt ihm das immer gern wahrgenommene Amt des Verwalters und erfolgreichen Anlageberaters von Heinrich Manns französischen Tantiemen.

Ein ebenso intellektuell aufschlussreiches und spannendes wie anrührendes Zeugnis deutsch-französischer Geistesgeschichte, das ebensoviel zur Konturierung der Persönlichkeit wie des Intellektuellen Heinrich Mann beiträgt, als biografische Quelle ebenso ergiebig wie zum Verständnis seines geistigen Horizontes. Ein gerne wahrgenommenes Muss für die Heinrich-Mann-Forschung, dies auch wegen der ansprechenden Ausstattung, die lediglich durch die umfangreiche Materialsammlung und die sorgfältige Kommentierung übertroffen wird.

Titelbild

Heinrich Mann / Felix Bertaux: Briefwechsel 1922-1948.
Herausgegeben von Peter Paul Schneider, auf der Grundlage der Vorarbeiten von Sigrid Anger, Pierre Bertaux und Rosemarie Heise bearbeitet von Wolfgang Klein.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
800 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3100485009

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