Heimatlos zwischen Marxismus und Kapitalismus

Der Autor Hartmut Lange reflektiert über seine schriftstellerischen Erfahrungen

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literatur, die aus Neigung oder Marktgründen entsteht, ist Quantität, Qualität zeigt sich vor allem in der Darstellung des Allgemeinmenschlichen. Nur in der Kunst ist eine gemeinsame Ebene für Verstand und Phantasie möglich, sie erhalten "einen Ausdruck des Ununterscheidbaren". Der Schriftsteller Hartmut Lange verknüpft damit die Hoffnung: "vielleicht sollten wir eines Tages nach Maßgabe einer solchen Kunst wieder 'Welt bauen'". Denn das rein Rationale, das Fassen der Welt in abstrakte Begrifflichkeiten und erkenntnistheoretische Konzepte, reicht für die Kunst nicht aus.

Hartmut Lange ist ein bekannter und mit Preisen ausgezeichneter Autor. Zuletzt erhielt er im März 2003 den Italo-Svevo-Preis, ausgewählt von der als Jurorin bestimmten Monika Maron. Sein Weg beginnt mit einem Dramaturgie-Studium an der Filmhochschule Babelsberg. 1965, er hat bereits einiges veröffentlicht, bleibt er nach einer Reise in Westberlin und arbeitet als Dramaturg und Autor, schreibt Dramen, Novellen, Romane, Hörspiele.

Die in dem Band zusammengestellten Vorträge aus den Jahren 1988, 1996, 1997 und 2000 beinhalten das Credo eines Autors, der sich anhand theoretischer Reflexionen über seine literarische Entwicklung und die Literatur vergewissert. Grundthema ist das Verhältnis von Erkenntnis und Literatur.

Die 1996/97 an der Paderborner Universität gehaltene Poetikvorlesung greift diese Grundfrage auf und durchforstet die eigene Schreibbiografie. Lange kommt zu der Erkenntnis, dass mit dem Beginn des Dramaturgiestudiums der in der Kindheit erlebte Wechsel von der tatsächlichen in die Vorstellungswelt zu Ende war; seither vollzieht sich die Entdeckung der tatsächlichen Welt im Kontext der marxistischen Geschichtsphilosophie. Literatur wird für den Autor zu einer gesellschaftspolitischen Aufgabe und verliert damit die Autonomie des Subjektiven. Eine mehrjährige Krise, die Lange als das Pascalsche Erschrecken bezeichnet, zeigt ihm die Unmöglichkeit einer rein rationalen Existenz im Begrifflichen auf: "Die Kunst aber hat ihre Wurzeln in den Untiefen der Subjektivität", so die Erkenntnis, die er aus diesem Prozess gewonnen hat.

In den 'Reflexionen' wird dieser Weg philosophisch nachvollzogen. Aphorismen, Gedanken, kurze Aufzeichnungen verdichten die im einleitenden biografisch orientierten Teil angerissenen erkenntnistheoretischen Überlegungen.

Den Schluss des Bandes bilden drei Vorträge, die am Beispiel kanonisierter Autoren (Brecht, Thomas Mann, Musil, Kafka) Probleme im Selbstverständnis der Moderne aufzeigen, die Lange weiterführend mit aktueller Kulturpolitik vergleicht. Der Autor kritisiert die Bevorzugung des Verstandes vor der Phantasie, darin liege ein Mangel, ein theoretisches Unverständnis. Lange bevorzugt, vor allem für sein eigenes Schreiben, die "Triebtäterschaft, etwa um die Wucht und Unvereinbarkeit der eigenen Existenz zu artikulieren." Daher weist er der Kunst einen eigenen Wahrheitsgrund zu, der im Subjekt selbst liegt.

Titelbild

Hartmut Lange: Irrtum als Erkenntnis. Meine Realitätserfahrungen als Schriftsteller.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
200 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3257063040

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