Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Der Fantasy-Autor Bernhard Hennen entführt seine Leser nach "Nebenan"

Von Judith WellmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Wellmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt sie nicht, die Märchen und Geschichten über Heinzelmännchen, Hexen, Feen und noch ganz andere Unmöglichkeiten. Schwer im Irrtum ist, wer nun annimmt, dies seien alles nur Phantasiegestalten aus dem Märchenbuch. Denn ihre Welt, genannt Nebenan, ist nicht weit entfernt und doch unerreichbar für die Menschen. Hier ist die Zeit seit Jahrhunderten stehen geblieben, und die Märchen, die uns in Kindertagen vorgelesen wurden, sind Wirklichkeit. Ein Tor zu dieser Welt voller Magie befindet sich tief unter der Universität zu Köln und wird von dem Volk der Heinzelmännchen streng bewacht. Doch als ein paar Studenten in der Samhainnacht während eines Rollenspielrituals ein Tor nach Nebenan öffnen, können Schurken, allen voran der Erlkönig und Graf Cagliostro, aus Nebenan fliehen und in die wirkliche Welt, genauer: nach Köln, zurückkehren. So wird die bis dato herrschende Ordnung in der Domstadt gehörig durcheinandergewirbelt. Der Erlkönig wird zum Ökoterroristen und legt als solcher ein Atomkraftwerk lahm, Cagliostro dagegen hat es auf den Kölner Dom und den darin verborgenen Schatz abgesehen. Nun verbündet sich unter Nöhrgel, dem Ältesten der Heinzelmänner, eine bunt gemischte Truppe, die von den Heinzelmännchen zum Vatikan und zu einigen schwertkampferprobten Kölner Studenten reicht.

Hennen gelingt mit "Nebenan" eine Gratwanderung zwischen Realem und Phantastischem, bis beide Welten aufeinanderprallen und er sie miteinander verschmelzen lässt. Dabei entsteht ein an Situationskomik reiches Chaos, was hier wie Nebenan zu eigenartigen Koalitionen, ja sogar Liebesbeziehungen führt, die kein Auge trocken lassen. Eine fabelhafte Geschichte, in der die Märchenwesen in einem ganz anderen Licht erscheinen und einige auch liebevoll durch den Kakao gezogen werden, was sie aber gerade so interessant und einmalig macht. Denn dass die Hexe aus "Hänsel und Gretel" nach ihrem verheerenden Ende in dem Grimmschen Märchen eine "Selbsthilfegruppe für Hexen mit Minderwertigkeitskomplexen" gründen würde, hätte man vor Hennens Roman doch nicht für möglich gehalten. Es gelingt ihm in "Nebenan" konventionelle Bilder mit originellen Figuren und einer Portion Gesellschaftskritik zu einer humorvollen Erzählung zu vereinen.

Zur Zeit liegen von dem bereits mehrmals ausgezeichneten Autor Bernhard Hennen mehr als 15 Fantasyromane sowie einige Kurzgeschichten vor, man kann ihn zu den bekannten deutschen Autoren in diesem Genre zählen. Nach der Veröffentlichung von "Nebenan" erschien im letzten Jahr der erste Roman des zwölfbändigen Fantasy-Epos "Gezeitenwelt". Hennen gab so unter dem Titel "Der Wahrträumer" (2002) das Debüt in einem Projekt, in dem sich die Stars der DSA-Roman- und Abenteuerreihe, neben Bernhard Hennen noch Hadmar von Wieser, Thomas Finn und Karl-Heinz Witzko, die Ehre geben.

Die in "Der Wahrträumer" erschaffene mittelalterliche, lebendige Welt ist bedroht und verändert sich durch einen vorbeifliegenden Kometen. Dieser führt nicht nur gigantische Naturkatastrophen herbei, er verändert die Realität. Die Geschichten der Hauptfiguren Alessandra, einer Walfängerin, Francesco, einem Abgesandten der Kirche und Seruun, einem Schamanen und Wahrträumer, werden parallel erzählt und verschmelzen letztlich.

"Der Wahrträumer" und "Nebenan" sind in meinen Augen so unterschiedlich, wie zwei aufeinanderfolgende Romane desselben Autors nur sein können. Auf ganz eigene Art sind beide Erzählungen phantastisch und räumen der Magie einen großen Raum ein. Die leichtfüßige Unterhaltung in "Nebenan" mit den herrlich verrückten Märchenfiguren grenzt sich von den in "Der Wahrträumer" realistisch gezeichneten Akteuren und der nicht enden wollenden Spannung klar ab.

Die Handlung der "Gezeitenwelt" ist von langer Hand geplant und ergibt eine einzige große Geschichte, wobei jeder der Autoren dem Gesamtwerk drei Romane beisteuert, die insgesamt aufeinander abgestimmt werden sollen. Was zunächst so künstlich klingt wie die Entstehungsgeschichte der "No Angels" scheint, Hennens Auftaktroman nach zu urteilen, ein Projekt mit Seele zu sein.

Titelbild

Bernhard Hennen: Der Wahrträumer.
Piper Verlag, München 2002.
633 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3492700519

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Titelbild

Bernhard Hennen: Nebenan. Roman.
Piper Verlag, München 2002.
540 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3492236782

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