Im Sumpf der Boulevardpresse

Alicia Giménez-Bartletts schickt in ihrem neuem Roman "Tote aus Papier" Inspectora Delicado und Subinspector Garzón auf Abwege

Von Anne K. BetzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne K. Betz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Polizeiarbeit ist ein hartes Brot, das weiß die einzige Inspectora der Policía Nacional Barcelonas, die für ihre scharfe Zunge und die eigenwillige, weibliche Herangehensweise an ihre Fälle bekannte Petra Delicado, nicht erst seit gestern. Und zu allem Überfluss ist es wieder so ein Morgen, an dem ihre Gedanken nur darum kreisen, was für ein trauriges Bild sie als vom Leben gebeutelte, zweifach geschiedene Frau mit frustrierten Kollegen, einem cholerischen Chef und strähnigem Haar doch abgeben muss. Ihre Melancholie erweist sich als eine Art Vorahnung: Sie und ihr Assistent Garzón haben von den Starinspektoren des Kommissariats einen Fall geerbt, der es in sich hat: Ein Skandaljournalist wurde ermordet, und nicht irgendeiner, sondern der bekannteste Spaniens. Das ist spektakulärer als alles, was Petra bisher aufzuklären hatte, sie, die zwar beim Comisario einen Stein im Brett hat, sich aber bisher ,nur' mit Fällen, die sich in den Hinterhöfen Barcelonas ereignet haben, beschäftigen durfte. Statt durch den Sumpf menschlicher Gefühle, des bürgerlichen Familienlebens, der Lebensträume und Lebenslügen watet sie nun durch den Morast der Medien, der öffentlichen Schlammschlacht um Popularität, Erfolg und das ganz große Geld. Mit einer gehörigen Portion Galgenhumor begibt sie sich auf dieses unbekannte Terrain, tat- und bisweilen auch mal schlagkräftig unterstützt durch ihren bärbeißigen Subinspector. Das eingespielte Team beginnt das ermüdende Spiel der Befragungen, doch bald kristallisiert sich heraus, dass ihr geerbter Fall und der, den die Starinspektoren nun stattdessen behandeln, der Tod der Geliebten eines Ministers, doch viel mehr miteinander zu tun haben, als es zuerst den Anschein hatte ...

Mit "Tote aus Papier" wird nach "Gefährliche Riten", "Hundstage" und "Boten der Finsternis" der nunmehr vierte Roman, in dem das ungleiche Ermittlerpaar seinem gleichzeitig geliebten und gehassten Job nachgeht, in Deutschland veröffentlicht. In Spanien ist die Serie von Alicia Giménez-Bartlett, Spaniens erfolgreichster Autorin, so populär, dass sie 1999 teilweise fürs Fernsehen verfilmt wurde. Obwohl Alicia Giménez-Bartlett den größten Teil ihres Renommees den bisher fünf Kriminalromanen um Inspectora Petra Delicado verdankt, verzeichnet sie doch auch andere Erfolge: 1997 wurde ihr Roman "Una habitación ajena" mit dem "Premio Femenino" des angesehenen Verlagshauses Lumen ausgezeichnet.

Giménez-Bartlett hat mit Petra Delicado eine Romanheldin erschaffen, die, obwohl äußerst selbstständig und emanzipiert im spanischen Machismo, weder feministisch noch lasziv ist - und mit dem duldsamen, aber dennoch energischen und selten um eine Antwort verlegenen Subinspector Fermín Garzón ihren perfekten Gegenpart. Obwohl es in der Kriminalliteratur der letzten Jahre von angeblich alltäglichen, etwas schrulligen und somit glaubwürdigen Kommissaren nur so wimmelt, hat man hier zum ersten Mal das Gefühl, wirklich ,normale' Menschen vor sich zu haben, solche mit Sinnkrisen, Entgleisungen und Bad-Hair-Days, und nicht solche, die bei aller scheinbaren Normalität letztlich doch Helden des Alltags sind. Vielleicht liegt dies daran, dass es zwei Hauptpersonen sind, vielleicht auch an Delicados melancholischen Selbsthassanfällen, die dem Leser seltsam vertraut vorkommen, oder aber an all den im Privatleben gescheiterten Personen, die den Roman bevölkern, aber trotzdem ihren Humor und ihre Tatkraft nicht verloren haben.

"Tote aus Papier" ist keiner der Krimis, in dem der Fall die Hauptrolle spielt: Es sind die handelnden Personen, und zwar nicht nur Delicado und Garzón, sondern auch ihre Kollegen, Verwandten und Ehepartner. Keine der zahlreichen Nebenfiguren erscheint schablonenhaft, selbst die Zeugen, die Verdächtigen, die Angehörigen der Opfer und die Zufallsbegegnungen wirken in all ihren Unzulänglichkeiten wie echte - und das ist vielleicht der Grund, weshalb man auch, nachdem man das Buch mal einige Tage zur Seite gelegt hat, den Überblick nicht verliert und problemlos wieder in die Geschichte einsteigen kann: Man sieht nicht nur Rollen, sondern Gesichter.

Tatsächlich ist es so, dass man in den kurzweiligen Gesprächen zwischen den Polizisten über alles andere als den Fall (zum Beispiel das Privatleben des jeweils anderen, obwohl man sich tausendmal gegenseitig versprochen hat, sich nicht darin einzumischen) diesen bisweilen fast aus den Augen verlieren kann. Manchmal passiert es, dass die Autorin ihre Protagonistin viel mehr Indizien bemerken lässt, als es für den Verlauf der Geschichte nötig wäre. Die Längen der täglichen Polizeiroutine werden nicht dramaturgisch abgekürzt, was gegenüber anderen Kriminalgeschichten, deren Hauptpersonen sich über derlei Kleinkram heldenhaft hinwegsetzen, einerseits eine willkommene Abwechslung ist, aber andererseits auch gewisse Längen bei der Lektüre entstehen lässt. Ferner lässt sich der Fall, obwohl er recht spannend ist, nur durch zähe Recherchen (die wegen oben erwähnter Nicht-Kürzung für den Leser ebenso zäh sind) und viel Warten und Hoffen lösen; Action im eigentlichen Sinne wird vergleichsweise wenig geboten. Auch das: Erfrischend, aber dennoch hat man zuletzt das Gefühl, dass alles reichlich unspektakulär aufgelöst wird.

Alles in allem bietet "Tote aus Papier" gute Unterhaltung für das Sofa, den Garten, den Urlaub oder auch den Nachttisch und verspricht zu fesseln, lässt dem Leser aber auch die Freiheit, ein paar Tage etwas anderes zu tun, als sich an dem fast eheähnlichen Verhältnis der Inspectora und ihrem Assistenten, dem plastischen Bild der Menschen und natürlich des Polizeiapparates in Spaniens Hauptstädten oder der soliden und gut recherchierten Story zu erfreuen. Hoffen wir, dass auch der fünfte Delicado-Roman bald auf Deutsch erscheinen wird.

Titelbild

Alicia Gimenez-Bartlett: Tote aus Papier. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003.
347 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3785715382

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