Bilder einer Ausstellung

Zwiespältiger Lektüreeindruck

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Erich Kästner. Zum 100. Geburtstag" steht auf dem großformatigen, über 300 Seiten starken Katalog der Ausstellung, die bis zum 1. Juni in Berlin, im Deutschen Historischen Museum, gezeigt wird und dann nach München und Dresden wandern soll. Ein passables posthumes Präsent für den berühmten Herrn, sollte man meinen. Doch so einfach ist das nicht. Was zwischen den Buchdeckeln steht, hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck.

Zunächst muß man es ausdrücklich begrüßen, daß Erich Kästner, Liebling beim Publikum und bei der Literaturkritik, einer der wenigen weltweit bekannten Autoren der deutschen Literatur, mit einer großen Ausstellung und einem entsprechenden Katalog geehrt wird. Man ist versucht zu sagen: Es wurde auch langsam Zeit. Und hinzuzufügen: Es muß nicht immer nur Goethe sein.

Der Katalog ist natürlich bebildert. Die vielen Schwarzweiß- und wenigen Farbfotos verdanken ihre Existenz vielleicht nicht nur der Zeit sondern auch dem Rotstift. Erfreulich ist allerdings, daß in der Bibliographie die bunten Titelseiten der Erstdrucke in ihrer ganzen Farbenpracht reproduziert wurden (für Leute mit guten Augen - kleinformatig). Ansonsten hat man sich vorrangig für Fotos mit Kästner entschieden, und es sind viele dabei, die selbst der Kundige noch nicht kennt.

Der Katalog versammelt Beiträge mit wissenschaftlichem Anspruch. Dennoch ist die Qualität sehr unterschiedlich, was zum Teil, so komisch das klingen mag, am Anlaß liegt: Das runde Kästner-Jubiläum hat wichtige Publikationen hervorgebracht, die von den Katalogautoren aus zeitlichen Gründen nicht mehr im notwendigen Umfang berücksichtigt werden konnten.

Auch hier gibt es Ausnahmen, zum Beispiel der Beitrag von Hans Sarkowicz, der Kästners Publizistik bis 1933 beleuchtet. Sarkowicz ist Co-Autor einer neuen und grundlegenden Kästner-Biographie im Piper-Verlag. Ebenso glücklich war, was die Wahl der Autoren angeht, die von Sven Hanuschek, ebenfalls Kästner-Biograph, der sich zudem (das ist das Thema seines Beitrags) bei Kästners Arbeit für den PEN bestens auskennt, und von Jan-Pieter Barbian, der endlich einmal mit der Akribie des Historikers alles zusammengetragen hat, was sich zu der behördlichen Behandlung Kästners im Nationalsozialismus finden läßt. Allerdings zeigt sich schon bei Barbian das angesprochene Wissensdefizit. In seinem Aufsatz spielt die in den neuen Biographien von Görtz/Sarkowicz und Hanuschek beleuchtete Rolle von Kästners Arbeiten unter Pseudonymen für Theater und Film keine Rolle. Die Filmarbeit Kästners hat, auch das ein exzellenter Beitrag, Knut Hickethier aufgearbeitet.

In anderen Beiträgen werden viele Klischees über Kästner perpetuiert: bei Martin Lindner, der in der Neuen Sachlichkeit, zu der er Kästner rechnet, nur "Gefrorenes" erkennen kann, vor allem aber bei Gundel Mattenklott, die gegen Kästners Kinderbücher zu Felde zieht. Emil & Co. sollen stellenweise präfaschistisch, autoritär, kurz: wenig kindgerecht sein. Bekannte Kinderbuchforscher (zum Beispiel Klaus Doderer), aber auch die vielen jungen Kästner-Leser sind da anderer Meinung. Die Kleinen würden erst gar nicht auf die Idee kommen, schlimme spätere historische Entwicklungen, sprich den Nationalsozialismus, auf harmlos gemeinte Aussagen in einem Kinderbuch von 1933 ("Das fliegende Klassenzimmer") zu projizieren. Konkret gemeint ist die Stelle: "Für diesen Mann da oben laß ich mich, wenn's sein muß, aufhängen." Lehrer Dr. Bökh wird mit diesem Ausspruch eines Jungen charakterisiert, was Mattenklott zum Anlaß nimmt, ihn zu einem literarischen Stellvertreter Hitlers zu stilisieren. Ob Mattenklott weiß, daß Bökh gerade deswegen so geschätzt wird, weil er den Kindern ihre Individualität und den notwendigen Freiraum läßt? Und ob sie sich vorstellen kann, daß so ein umgangssprachlicher - heute würde man sagen: 'cooler' - Satz nicht unbedingt das meint, was er, so ganz direkt, aussagt? Und wenn dann noch von Kästner als einem "hoch ambivalenten Neurotiker mit lebenslanger Mutterfixierung" die Rede ist, dann möchte ich lieber schnell weiterblättern, als solche hobbyfreudianischen (Freud möge verzeihen) Ergüsse lesen, gar notieren zu müssen.

Nicht alle Beiträge, mit denen Kästner umfassend zu Leibe gerückt wird, können hier skizziert oder nur aufgezählt werden. Das wäre auch langweilig. Wer sich für Kästner interessiert, der kommt um die Ausstellung und den Katalog sowieso nicht drumrum.

Titelbild

Manfred Wegner (Hg.): Die Zeit fährt Auto. Erich Kästner zum 100. Geburtstag.
Deutsches Historisches Museum, Berlin 1999.
308 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3861021064

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