Revolution gegen den Geist

Zur Bücherverbrennung am 10. Mai vor siebzig Jahren

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Plünderung des "Instituts für Sexualwissenschaft" in Berlin war der spektakuläre Auftakt. Studenten der Hochschule für Leibesübungen, meldete der "Berliner Lokalanzeiger" am Morgen des 6. Mai, würden die Aktion durchführen - als ob die Ertüchtigung ihres Körpers durch den Forschungsbereich jenes Instituts hätte Schaden nehmen können.

Unter der Überschrift "Vandalen" brachte eine Schweizer Monatsschrift den Bericht eines Augenzeugen: "Am 6. Mai, um 9.30 Uhr, erschienen vor dem Institut einige Lastautos mit ca. 140 Studenten und einer Kapelle mit Blasinstrumenten. Sie nahmen vor dem Hause militärische Aufstellung und drangen dann unter Musik in das Haus ein." Hier leerten sie die Tintenfässer über Schriftstücken und Teppichen aus, warfen Schautafeln aus dem Fenster, zertrümmerten die Modelle und räumten die Bücherregale aus.

Drei Tage später wurden über zehntausend Bände der Spezialbibliothek verbrannt. Das war am 10. Mai 1933, dem Tag der Bücherverbrennung, dem Abschluss und Höhepunkt der studentischen "Aktion wider den undeutschen Geist", die vier Wochen lang gedauert hatte. Ein eben gegründetes "Hauptamt für Presse und Propaganda" der "Deutschen Studentenschaft" organisierte die Aktion, die, wie einer ihrer Führer erklärte, "die nationale Revolution auf die Hochschule zu übertragen" gewillt war.

Wogegen und wofür "die symbolische Handlung im Verbrennungsakt" sich richten sollte, erläuterte ein Rundschreiben vom 9. April. Hier heißt es unter anderem: "1. Gegen Klassenkampf und Materialismus. Für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung (Marx, Kautzky)", "2. Gegen Dekadenz und moralischen Verfall. Für Zucht und Sitte in Familie und Staat (Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner)"; "4. Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens. Für den Adel der menschlichen Seele (Freud'sche Schule, Zeitschrift Imago)"; "7. Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges. Für Erziehung des Volkes im Geiste der Wehrhaftigkeit (Erich Maria Remarque)". Am 10. Mai wiederholten sich diese Formulierungen in den "Feuersprüchen".

Sexualliteratur, marxistische und pazifistische Schriften sah man als bevorzugtes Brennmaterial vor. Und das jedes andere übertrumpfende Argument dabei lieferte der Hinweis auf den "jüdischen Geist", der für all den zersetzenden Schmutz verantwortlich sei. So heißt es in den zwölf Thesen "Wider den undeutschen Geist", die auf Plakaten in Berlin am 13. April in der Universität und an Litfasssäulen angeschlagen wurden: "Das deutsche Volk trägt die Verantwortung dafür, daß seine Sprache und sein Schrifttum reiner und unverfälschter Ausdruck seines Volkstums sind. [...] Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter!"

Die Büchersammelaktion, vor allem in öffentlichen Leihbibliotheken, aber auch in Schüler-, Lehrer- oder Gewerkschaftsbüchereien, besorgten studentische "Stoßtrupps". Grundlage waren die "Schwarzen Listen", die maßgeblich der nationalsozialistische Bibliothekar Wolfgang Herrmann angefertigt hatte. Die Kriterien waren simpel, doch dadurch besonders brauchbar. Die Komplexität des Bücherangebots wurde auf wenige Formeln und Begriffe reduziert. Die in einem Dokument aus der Reichsschriftkammer erläuterten "Maßstäbe für die Anfertigung" der Listen zielte vor allem auf die "Entartung" der literarischen Moderne: "Der Kampf richtet sich gegen die Zersetzungserscheinungen unserer artgebundenen Denk- und Lebensform, d. h. gegen die Asphaltliteratur, die vorwiegend für den großstädtischen Menschen geschrieben worden ist, um ihn in seiner Beziehungslosigkeit zur Umwelt, zum Volk und zu jeder Gemeinschaft zu bestärken und völlig zu entwurzeln. Es ist die Literatur des intellektuellen Nihilismus."

Veröffentlicht wurde die erste amtliche Schwarze Liste für Preußen erst nach der Aktion, am 16. Mai im "Börsenblatt des Deutschen Buchhandels". Auf der Liste der "Schönen Literatur" waren die zwölf ärgerlichsten Literaten mit einem Kreuz gekennzeichnet, darunter Feuchtwanger, Kerr, Kisch, Heinrich Mann, Ottwald, Remarque, Tucholsky und Arnold Zweig. Bei einigen Autoren schloss man bestimmte Werke von der Verbrennung aus. So liest man beispielsweise: "Döblin, Alfred: alles außer: Wallenstein"; oder in der Liste für "Politik und Staatswissenschaften": "Engels, F.: Sämtliche Schriften, außer: Der deutsche Bauernkrieg, Die Lage der arbeitenden Klassen in England, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen Philosophie".

Dann der Tag der Bücherverbrennung. Was sich ähnlich wie in den anderen Universitätsstädten Deutschlands in Berlin als festgelegtes Ritual ereignete, darüber erschienen zahllose Berichte und Erinnerungen. So verteilte man abends um neun Uhr nahe der Universität die Fackeln und holte von dort aus die Lastwagen mit den verurteilten Büchern ab. "Um Punkt 10 Uhr erklang dann das Kommando des SA-Führers ,Stillgestanden. Im Gleichschritt marsch!' Unter dem Vorantritt einer Musikkapelle setzte sich der Zug in Richtung Oranienburger Tor in Bewegung. Eine ununterbrochene Menschenkette bildete zu beiden Seiten das Spalier." So die "Deutsche Allgemeine Zeitung" vom 12. Mai. Der Berichterstatter spricht vom "Eindruck eines Volksfestes".

Ein Kreisleiter der Deutschen Studentenschaft hält die erste Rede, die Bücher, etwa 25.000, werden stoßweise ins Feuer geworfen, begleitet von den "Feuersprüchen" einiger Studenten.

Gegen Mitternacht erschien Goebbels und hielt seine Rede gegen "jüdischen Intellektualismus", "Marxismus" und die "geistigen Grundlagen der Novemberrepublik". Die Studenten bestätigte er in ihrem Selbstverständnis "als Vortrupp eines wirklich revolutionären Geistes". Mit erhobenen Armen sangen alle zum Schluss das Horst-Wessel-Lied. Der "Völkische Beobachter" resümierte am 12. Mai: "Rauchsäulen künden den Flammentod der Zersetzungspest."

1948 hielt Hans Mayer seine später oft aufgegriffene Rede "Die deutsche Literatur und der Scheiterhaufen". Sie begann mit der Frage, "ob man diese ganze Bücherverbrennung des 10. Mai nicht allzu wichtig nimmt", da doch die Geschichte des "Dritten Reiches" im Vergleich zu jenem jugendlichen Spektakel "weit grauenvollere Rückfälle ins Barbarische" zu verzeichnen habe: "Man verbrannte ,nur' die Bücher, nicht die Autoren."

Der Tag der Bücherverbrennung ist vor allem als symbolisches Datum von historischer Bedeutung, als Zeichen, das auf weit Schlimmeres verweist - oder auch als Auszeichnung gilt. Die Aktion selbst "war eine lächerliche Kinderei gegenüber der Vertreibung und Ausrottung der Juden", so formulierte es rückschauend der Exilautor Hans Sahl in einem Gespräch. Viele der betroffenen Autoren sahen sich durch den 10. Mai eher bestätigt als in Frage gestellt. Ernst Erich Noth erinnert sich an "eine Art Befriedigung darüber, daß man von den Leuten als Feind erkannt worden war". Alfred Döblin schrieb schon vor der Verbrennungsaktion aus Zürich: "Der Jude meines Namens ist auch dabei, erfreulicherweise bloß papieren. So ehrt man mich." Und Oskar Maria Graf, dessen Bücher zum größten Teil verschont worden waren, verfasste noch in derselben Nacht seinen berühmten Protest "Verbrennt mich!"

Hans Mayer wertete die Bücherverbrennung als Symptom für den Rückfall in die Zeit "des Hexenhammers, der Hexenprozesse und der Inquisition" und somit der Abkehr von den humanistischen Traditionen des 18. Jahrhunderts. Er übersah dabei den revolutionären Anstrich der Aktion. Die Redner beriefen sich damals vor allem auf Martin Luthers mutige Auflehnung gegen die "Bannandrohungsbulle" des Jahres 1520, auf die er mit der Verbrennung papistischer Bücher reagierte, und noch häufiger auf die Studenten des Wortburgfestes - ohne Bewusstsein ihrer anderen historischen Situation.

Die Scheiterhaufen als "Symbol der Revolution", das "Feuer als reinigende Kraft", das den alten Geist vernichtet und vom "Anbruch der neuen Zeit" kündet, so konnte man es in den nationalsozialistischen Schriften zur Rechtfertigung der Aktion nachlesen. Und nicht allein Goebbels beschwor das Bild vom "Phönix eines neuen Geistes", der aus der Asche steigt. Während jedoch die Bücherverbrennung auf der Wartburg 1817 immerhin ein Akt demokratisch gesinnten Aufruhrs war, vor dem sich die deutschen Fürsten zu fürchten hatten, brauchten sich die Studenten des Jahres 1933 vor einem Konflikt mit der Obrigkeit nicht zu ängstigen. Auch wenn Goebbels und die Partei nicht die Aktion dirigierten, konnte sich die Studentenschaft doch von Beginn an ihrer Unterstützung sicher sein.

Überhaupt war die Bücherverbrennung ein pseudorevolutionärer Akt ohne nennenswerten Widerstand. Im Gegenteil: Das "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel" ließ sich umstandslos gleichschalteten. Germanisten, denen man ebenfalls hätte zutrauen können, sich gegen die Vernichtung von Büchern zu wehren, spielten als Redner während der Aktion eine blamable Rolle.

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Thomas Lischeid: Symbolische Politik. Das Ereignis der NS-Bücherverbrennung 1933 im Kontext seiner Diskursgeschichte.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Krottenmühl 2000.
277 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 393502505X

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Theodor Verweyen: Bücherverbrennungen. Eine Vorlesung aus Anlass des 65. Jahrestags der "Aktion wider den undeutschen Geist".
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2003.
237 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-10: 3825310825

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Reiner Wild / Sabina Becker / Matthias Luserke-Jaqui / Reiner Marx (Hg.): Dennoch leben sie. Verfemte Bücher, verfolgte Autorinnen und Autoren. Zu den Auswirkungen nationalsozialistischer Literaturpolitik.
edition text & kritik, München 2003.
454 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3883777455

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Werner Tress: Wider den undeutschen Geist - Bücherverbrennung 1933.
Parthas Verlag, Berlin 2003.
245 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3932529553

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