Verschmähte Einladung zum Fest des Lebens

Heinz Küppers Roman "Der Zaungast"

Von Frank MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Georg wußte nie, was er wollte, gehen oder bleiben." Der gebürtige Euskirchener Georg Ferver, entscheidet sich im Jahre 1956, sein Studium an der Universität Bonn für ein Semester in Berlin zu unterbrechen. Ausgestattet mit Geldern der Studienstiftung und Ersparnissen aus seiner Arbeit bei einer Tuchfabrik, wagt der Student der Geschichte und Literaturwissenschaft den Sprung aus dem provinziellen Bonn in die politisch, aber noch nicht faktisch geteilte Großstadt Berlin.

In "Der Zaungast", wird seine Geschichte, die Küpper in seinem Roman "Simplicius 45" (1967) begann, fortgesetzt. Der zweite Roman setzt aber nicht unbedingt die Kenntnis des "Simplicius 45" vorraus, sondern ist ein eigenständiges Werk und in sich abgeschlossen.

Im Ostteil der Stadt lernt Georg während der Feierlichkeiten anlässlich des ersten Mai die Krankenschwester Jenny kennen. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die aber durch das unterschiedliche Bildungsniveau der beiden, noch mehr aber durch die Teilung der Stadt, belastet wird. Für Jenny sind "Westkontakte" gefährlich, und ein Umzug in den Westteil kommt für sie eben so wenig in Frage wie für Georg der dauerhafte Aufenthalt im Osten Berlins. In dieser Konstellation ist die spätere Trennung der beiden schon früh vorprogrammiert: "Jenny sagte: Ich bin froh, daß ich hier nicht wohne, bei uns wäre das [Massen von gröhlenden Konzertbesuchern] nicht möglich. Und was ist mit den Betriebskampfgruppen, die ich am ersten Mai gesehen habe, sagte Georg, im Gleichschritt, die Kalaschnikows auf den Bierbäuchen, alles prima geordnet, die hatten nicht einen Bürgersteig inne, die hatten die ganze Straße. Und was ist mit Eurer Hitlerjugend in Blauhemden, die Du ja auch so liebst? sagte Georg. Die tun einem nichts, sagte Jenny, vor denen brauchst Du nicht davonzulaufen. Ach ja, sagte Georg. Und warum laufen denn so viele weg bei Euch und kommen hierher? Weil sie doof sind, sagte Jenny und hielt sich den Mund kurz zu."

Parallel zu dieser Beziehung findet Georg Freunde, die wie er aus dem Rheinland stammen, und gewinnt bei dem jüdischen Gastprofessor Lasker Einblick in die noch nicht ferne nationalsozialistische Vergangenheit. Er lernt Brechts "Berliner Ensemble" kennen und schätzen, diskutiert im sowjetischen Sektor der Stadt mit Kommunisten, gibt sich aber auch den einfachen Lebensgenüssen hin. Trotz alledem ist Berlin nicht Georgs Stadt. Er bleibt dort fremd: Zu tief verwurzelt ist er in seiner überschaubaren rheinischen Provinz, in die er am Ende zurückkehrt - ohne Jenny.

"Der Gast am Zaun war eingeladen zum Fest des Lebens, aber er ist einer aus der skeptischen Generation und kehrt lieber zurück in seinen Studentenbunker in Bonn-Poppelsdorf." So urteilt Werner Biermann, Autor und Filmemacher, über Georg Ferver, den Romanhelden.

Georg Ferver nimmt die Einladung an - nur zeitlich begrenzt. Er ist nicht Zaungast während seines Aufenthalts in Berlin, sondern wird es erst durch seinen Weggang, seine mangelnde Entscheidungsfreude. 45 Jahre später, als Rückblicke des gealterten Georg das Romangeschehen immer wieder durchbrechen, erscheint die Zeit mit Jenny, trotz aller Schwierigkeiten, als "Zeit von höchster Lebensqualität". Und auch auf anderem Gebiet bleibt der Held nicht Zaungast: Sein Studium bei Professor Lasker und die Pionierleistung der Aufarbeitung nationalsozialistischer Geschichte nennt er das "einschneidendste Bildungserlebnis" seiner Studienzeit "Dies hier in Berlin, dies war das Studium, wie Georg es sich in seinen provinziellen, nur von Lektüre gespeisten Vorstellungen gewünscht, und wie er es vorher nie kennengelernt hatte und nie nachher noch einmal wiederfinden sollte."

Berlin blieb Episode in seinem ebenso wie in Georgs Leben, denn auch er "wußte nie, was er wollte, gehen oder bleiben."

Heinz Küpper hat in seinem autobiographischen Roman ein altes Motiv aufgegriffen: das verfehlte Glück.

Titelbild

Heinz Küpper: Der Zaungast. Roman.
Verlag Landpresse, Weilerswist 2002.
416 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 393522107X

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