Am Rande der Welt

Klaus Böldls Liebeserklärung an "Die fernen Inseln"

Von Vanessa GennaroRSS-Newsfeed neuer Artikel von Vanessa Gennaro

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Höhe und Dichte der Wolken und ihre Lichtdurchlässigkeit, die Stärke des Windes und seine Richtung, der Stand von Ebbe und Flut und der der Sonne, die Durchsichtigkeit der Luft: Alle diese Gegebenheiten sind zu bedenken, sind in jeweils entscheidender Weise an der Farbgebung beteiligt. Das Spektrum reicht von schmerzhaft blendender Weißglut bis zum glanzlosen Anthrazit, das sich freilich ganz verschieden ausnimmt, je nachdem ob Schaumkronen die Fläche aufhellen und beunruhigen oder nicht."

Die Landschaft der nordischen Inseln wird von Klaus Böldl mit Fantasie und Faszination beschrieben, sie wirkt auf den Skandinavisten und Schriftsteller schön, märchenhaft und verlassen; sie erscheint ihm unwirklich und jenseitig und bestimmt seine Träume auch noch nach der Reise. "Es war einer dieser Momente der Abgeschiedenheit, von denen man unzählige erlebt auf den Färöern, ohne dass sich deren Wirkung jemals abschwächte, sodass man Tag für Tag tiefer hineingerät in eine Einsamkeit, in der alles sich auf eine seltsam verlangsamte und überdeutliche Weise vollzieht."

Der Autor beschreibt uns seine Reise als eine Reise der Kontraste. Dabei stehen die fast menschenfeindlichen einsamen Landschaften der Zivilisation und der Globalisierung in den Städten und Touristenzentren, die an den Pizza-Hut-Filialen versinnbildlicht werden, gegenüber

Böldl ist nicht nur fasziniert, sondern fühlt sich auf seinen nordischen Inseln trotz der Fremdartigkeit an seine Kindheit erinnert. "Beim Anblick des schon gegen den Rand des Wiesentals zu gelegenen Schulgebäudes - es ist ein kleiner Flachbau und vielleicht in Wahrheit nur eine Vorschule - wurde mir immer ganz zweierlei, denn jedes Mal meinte ich mit geradezu halluzinatorischer Deutlichkeit mich zu erinnern, dort einmal im Unvordenklichen zur Schule gegangen zu sein." An diesem Beispiel wird der zweite Kontrast, der den Autor auf seiner Reise begleitete, deutlich: Auf der einen Seite die Fremdheit der nordischen Inseln, und auf der anderen die Vertrautheit, die einige Orte in ihm erwecken und die im Laufe seiner Reise immer stärker wird. Es scheint, als nehme der Rest der Welt die Fremdheit ein, die sonst vor allem den Färöern eigen ist: "Das Gefühl, auf fernen Inseln unterwegs zu sein, verlor sich nach ein paar Tagen schon im Wechsel der Schauplätze und der Begegnungen. Vielmehr schien die Welt - Großbritannien, Skandinavien, Island und auch Amerika - , indem sie freilich einen gebührenden Abstand einhielt, sich um die Schafinseln herum zu gruppieren."

Der Autor personifiziert die Landschaft, die er wie eine Kamera in sich aufnimmt und wiedergibt: "Alle diese klarfarbigen, einander wie ergänzenden und bedingenden Gegenstände, mit denen der Talgrund angefüllt war, schienen gerade durch den umgebenden Verkehrslärm, durch den Schnellstraßenviadukt im Süden, durch die unsäglichen Pizza-Hut-Restaurants, Wohnblocks, Tankstellen, Buswartehäuschen, Sportanlagen und Vereinsheime ringsum erst richtig zusammenzuwachsen und sich gegen die Menschenwelt hin abzuschließen, als hätten sie sich verschworen, eine in die Geschichtslosigkeit eingerückte Landschaft vorstellen zu wollen."

Vor allem gegen Ende seines Buches weicht Böldl von der reinen Beschreibung der Landschaft und ihrer Bewohner ab und gibt einen Einblick in die Vergangenheit der nordischen Inseln. Er erzählt uns von Sagen, die vielen Orten zugeordnet werden können. So trifft man auf Höfe, die ihre eigene Geschichte haben, und auf ältere Bewohner, die fast noch in mythischer Zeit zu leben scheinen, in Mythen, die auf Island genauso zeitlos erscheinen wie die Insel selbst.

So wird deutlich, was den Autor zu seiner Reise bewogen haben mag: Die Landschaft, die ihm Freiheit zu vermitteln scheint, aber auch deren mittelalterliche Sagen und Geschichten, deren Welt sich Klaus Böldl durch Handschriften erschlossen hat.

Man wird bei der Lektüre dieses Textes ein starkes Bedürfnis verspüren, sich selber auf eine Reise an den Rand der Welt zu begeben und sich gleichfalls in die nordischen Inseln zu verlieben, wie es der Autor wohl getan hat.

Für Leser, die sich nur von der Natur im Allgemeinen fesseln lassen wollen ist Böldls Buch eher ungeeignet, schon aufgrund der mittelalterlichen Sagen, die ein spezielles Interesse an den nordischen Inseln voraussetzen. Denke ich an dieses Buch, denke ich an Einsamkeit, an einsame Landschaften, in denen man genügend Orte findet, an denen man sich vor Mc-Donald's und Riesenwerbeschildern verstecken kann. "Die fernen Inseln" ruft fast melancholische Gefühle hervor. Meine Gedanken wandeln auf "überwachsenen Pfaden" und verlassen unsere Welt.

Titelbild

Klaus Böldl: Die fernen Inseln.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
158 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3100076206

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