Blickweisen der Liebe

Eva Zellers "Dreißig Worte für Liebe" zeigt alle Facetten von Zuneigung

Von Dörte HartungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dörte Hartung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elf Erzählungen mit elf unterschiedlichen Beschreibungen von Liebe zwischen Menschen enthält das Buch von Eva Zeller. Und so unterschiedlich sich Liebe äußern kann, so unterschiedlich sind auch die Texte. In der ersten Geschichte findet sich der Leser am Ende des 18. Jahrhunderts wieder, die folgenden Erzählungen spielen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, dann auch in der Gegenwart. Die Hauptfiguren, meist Frauen, erleben in den Texten fast immer eine tragische Form der Liebe. So gibt es zum Beispiel Martha, die ganz pragmatisch das Begräbnis ihres Mannes organisiert. Weil er ein berühmter Maler war, kommt die Prominenz der Stadt zur Beerdigung. Doch nicht nur die Honoratioren versammeln sich am Grab, sondern auch viele junge, blonde Frauen; Modelle und Geliebte ihres Mannes. Dem "Sarg mit Silberputten, dachte Martha ein ums andere Mal, folgten zweiundzwanzig Nutten. Ihr Mann hatte es oft zitiert und dazugesagt: ein Teufelskerl dieser Tucholsky. Hierzulande nannte man Nutten Schicksen. Zweiundzwanzig waren es wohl nicht; Martha zählte zwölf ". Am Sarg ihres Mannes macht Martha schließlich noch eine ganz besondere Entdeckung.

Weiter lernt der Leser einen Ich-Erzähler kennen, der mit seinem Freund Robert in der Schulklasse ein Außenseiter ist. Die zwei interessieren sich nämlich nicht für die neuesten Frontnachrichten und die Durchhalteparolen der Parteiführer der NSDAP. Die sehr begabten Schüler lesen und lieben Gedichte, vor allem die von "Hölderlin, Morgenstern, Rilke, die von Eichendorff, Mörike und der Droste, von Fontane und Matthias Claudius und nebeneinander die von Wilhelm Busch zum Schmunzeln und die von Gottfried Benn für die Gänsehaut." Nach seiner Einberufung zur Wehrmacht hat der Erzähler nur einen Gedanken: schnellstmöglich wieder nach Hause zu kommen, weil er den Drill des Soldatendaseins nicht aushält. Während eines Restaurantbesuchs sieht er am Nachbartisch Gottfried Benn sitzen, und da kommt dem jungen Soldaten eine Idee: Mehrmals täuscht er einen körperlichen Anfall vor und rezitiert dabei Verse aus Benns Gedichten, die seine Kameraden und den Amtsarzt so sehr verwirren, dass dieser eindeutig diagnostiziert: Epilepsie. Und der Plan des Jungen scheint mit Hilfe von Gottfried Benn aufzugehen. Die Liebe zur Poesie rettet ihn vor dem Kampf an der Front.

Eva Zellers Erzählungen sind in ihrer Sprache so verschieden wie in der Erzählperspektive und der Art ihrer Hauptfiguren. Dominiert in einem Text hypotaktischer Satzbau, so ist die nächste Geschichte fast nur mit Parataxen gestaltet. Einige der abrupten Textenden erinnern an den pointierten Stil von Kurzgeschichten, was nicht so recht zur restlichen Erzählweise der Geschichten passen will.

Die 80-Jährige studierte Germanistin zeigt in ihrem Band jedoch sehr schön, dass es nicht nur innige Zuneigung zu einem Partner geben kann, sondern auch zwischen Geschwistern und zu längst verstorbenen Menschen. Gerade diese Vielseitigkeit von Liebe macht die Erzählungen lesenswert. Der Zweite Weltkrieg begegnet dem Leser immer wieder in den Geschichten - ein Thema, das Eva Zeller auch schon in ihrem letzten, 1998 erschienenen Roman "Das versiegelte Manuskript" verarbeitete. Doch sind es in "Dreißig Worte für Liebe" eher die unbekannten Seiten des Lebens im Krieg, die die Autorin beschreibt.

Titelbild

Eva Christina Zeller: Dreißig Worte für Liebe. Erzählungen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002.
140 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3421056471

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