Naturwidrige Amazonen

Marion Strunks nicht nur verspielter Sammelband zu Gender

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judith Butlers "Versuch, zur Geschlechter-Verwirrung anzustiften", rekurriert nicht zuletzt auf ein "subversives Spiel" mit kulturell erzeugten Geschlechtsidentitäten. Solche "Gender Games" werden in einem von Marion Strunk herausgegebenen Sammelband untersucht - und auch gespielt. Vier Projekte haben in dem Buch zusammen gefunden: Die 2001 an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich durchgeführte Tagung "Medien Körper Blicke", eine von der Volkshochschule und der Universität Zürich im gleichen Jahr veranstaltete Vortragsreihe zu 'Männlichkeiten', das an der HGK Zürich durchgeführte Forschungsprojekt 'GenderGame_Online' sowie schließlich die 2002 in Berlin gezeigt Ausstellung "weiblicher Maskeraden".

Trotz der vier beteiligten Projekte gliedert sich das Buch in nur drei Rubriken, da die von der Herausgeberin verfasste "Spielanleitung" zum "GenderGame_Online" unter die erste Rubrik "Medien Körper Blicke", subsumiert wurde, die zweite Rubrik gilt "Männlichkeiten" und die dritte - ein reiner Bildteil - der Berliner Ausstellung. Den Einstieg bildet jedoch eine "Typographie der Geschlechter" aus der Feder Christina von Brauns, in der sie zunächst darauf verweist, dass sich der Blick auf die geschlechtlichen Codierungen in der Moderne "völlig verändert" habe. So ist die um 1900 virulente Kontroverse um "das Recht und die Befähigung der Frauen zu höherem Studium und akademischen Berufen" heute ebenso wenig vorstellbar wie die Position Max Plancks noch als 'moderat' durchgehen würde, der das "Frauenstudium" in einigen, allerdings nur sehr wenigen Ausnahmefällen gut hieß, denn, so der Physiker und spätere Nobelpreisträger, grundsätzlich seien "Amazonen [...] auch auf geistigem Gebiete naturwidrig". Andere, wie der Anatom L. W. Bischoff, der Nationalökonom Lorenz von Stein oder der Historiker Heinrich von Treitschke, sprachen Frauen die Befähigung zum Studium völlig ab und prognostizierten die schlimmsten Folgen des "Frauenstudiums" sowohl für die einzelne Frau als auch für die Gesellschaft insgesamt. Dass die Frauen dessen ungeachtet die Universitäten inzwischen in großer Zahl "bevölkern", führt von Braun nicht zuletzt auf die Entwicklung medialer Techniken, insbesondere die des Films zurück. Denn das cineastische Medium habe die Auflösung des seit der Zentralperspektive dominierenden Subjektbegriffs bewirkt, was eine "neue Austauschbarkeit der Geschlechterrollen" beinhalte, sofern diese "durch das Sehen" bestimmt sind. Im zweiten Teil ihrer Arbeit blickt von Braun ähnlich wie bereits in ihrem monumentalen "Versuch über den Schwindel" (vgl. die Rezension in literaturkritik.de 1/2002) auf die "mediale Codierung des männlichen Körpers" in den Anfängen der Alphabetsschrift zurück.

Nicht mit der Schrift, sondern mit Bildern befasst sich Verena Kuni. Ausgehend von Darstellungen 'männlicher Weiblichkeiten' und 'weiblicher Männlichkeiten' unternimmt sie den Versuch, den Problemhorizont und die Potentiale zwischengeschlechtlicher Grenzüberschreitung aus feministischer Perspektive auszuloten. Da nun aber der Feminismus die duale Geschlechterordnung von einer auf eben dieser basierenden Position aus unterminieren will, sei es zunächst notwendig, ihn selbst etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Hierzu beschreitet sie den ungewöhnlichen Weg einer "grundständige[n], nämlich etymologische[n] Definition des Begriffs" und greift zu einem Lexikon aus dem Jahre 1974, in dem nachzulesen ist, dass unter Feminismus "weibliche Züge bei Männern" zu verstehen seien. Ob das nun eine etymologische Ableitung dessen ermöglicht, was der Terminus "ursprünglich" bedeutet hat, mag dahingestellt sein, schließlich war bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert ganz im heutigen Sinne von Feminismus (und Antifeminismus) die Rede. Jedenfalls wirft die Autorin die interessante Frage auf, was es für einen Feminismus, "mit dem sich (nicht nur biologische) Frauen positiv identifizieren", bedeuten kann, wenn der Begriff früher in "pathologisierender, d. h. mehr oder weniger deutlich in abwertender Absicht" zur Bezeichnung "Transgressionen des Geschlechts bei (biologischen) Männern" verwendet wurde. Könnte man hieraus nicht schließen, "dass 'weibliche Züge bei Frauen' eben nicht von vornherein als natürlicher Effekt ihres biologischen weiblichen Geschlechts zu verstehen sind"?

In einem ebenfalls lesenswerten Beitrag unterzieht Gertrud Koch den Musikantenstreit zwischen Marsayas und Apoll, den letzterer arglistig zum Sängerstreit umfunktionierte, so dass der flötespielende Faun unterliegen musste, einer für einen kurzen Text geradezu akribischen Interpretation und vertritt in einem zweiten Teil die These, dass es sich bei Pallas (also der Jungfrau!) Athene in bestimmter Hinsicht um eine Vorläuferin der Popikone Madonna handele. Bei soviel Originalität sieht man der Autorin die eine oder andere Ungenauigkeit allzu allgemein gefasster Behauptungen schon mal nach. So etwa, wenn sie konstatiert, dass sich durch Platon die Sprache als oberste künstlerische Form durchgesetzt habe, der sich die anderen ästhetischen Medien seither "in dienender Weise" anzupassen hätten, und dabei die wohl wichtigste und wirkungsmächtigste ästhetische Theorie des 19. Jahrhunderts vergisst, diejenige Schopenhauers nämlich, in der die Musik die absolute Vorrangstellung genießt.

Wenig originell ist hingegen das USA-Bashing, dessen sich Edgar J. Forster in seinem offenbar Ende 2001 verfassten Beitrag über "Männlichkeit und Repräsentation" in "America's New War" befleißigt. Ebenso "wie alle Kriege", so prognostiziert der Autor, werde auch Amerikas neuer Krieg, der "im engeren Sinne" mit den "Bombenangriffen auf Afghanistan" begonnen habe, "rigide Geschlechterverhältnisse forcieren" und "für eine klare Geschlechterordnung sorgen", in der Männern und Frauen wieder "ihre 'natürlichen' Plätze" zugewiesen bekommen. Wie wohl die Frauen in Kabul über eine solche Warnung denken würden?

Weit überzeugender als Forsters Ausführungen und überhaupt einer der aufschlussreichsten Beiträge ist Isabelle Werenfels' Untersuchung von Männlichkeitskonzepten in arabisch-muslimischen Gesellschaften. Zunächst skizziert die Autorin die "dominanten Konzepte von Männlichkeit" in der arabisch-muslimischen Welt. Anschließend widmet sie sich abweichenden Formen von Männlichkeit und untersucht, wie sich ökonomische und soziale Entwicklungen in den arabisch-muslimischen Ländern auf die dortigen Männlichkeitskonzepte auswirken.

Nachdem die Autorin die Männlichkeitskonstruktionen in der arabisch-muslimischen Welt zunächst nur vage als "Spektrum von unterschiedlichsten 'Zutaten'" bezeichnet, die bei jedem Mann "in einer anderen Form" zusammengesetzt seien und um deren Aneignung und Erhaltung "permanent gerungen" werden müsse, gelingt es ihr doch, nicht nur die dominanten Männlichkeitskonzepte, sondern auch das "komplexe Gebilde" dessen, was für einen Muslim 'wahre Männlichkeit' ausmacht, konzise und nachvollziehbar darzulegen, ohne dabei zu verkennen, dass die arabisch-muslimischen Gesellschaften keinen "homogene[n] Block" bilden und das Verständnis der Geschlechterrollen je nach "Richtung des Islam", nach "dominanter islamischer Rechtsschule" und nach "lokal-spezifischen Traditionen" divergiert. Wie Werenfels zeigt, sind die "Eckpfeiler" von Männlichkeit in der gesamten arabischen Welt dennoch "sehr ähnlich". 'Wahre Männlichkeit' zeichnet sich für den arabischen Moslem zuvorderst durch den Glaube an Gott und die Befolgung der religiösen Gebote aus. Denn diese helfen ihm die - männlich konnotierte - Vernunft zu entwickeln und so die Leidenschaften unter Kontrolle zu halten. Sodann gehört zur 'wahren Männlichkeit', Erzeuger mindestens eines Sohnes zu sein, eine Familie ernähren und als Beschützer der Frau auftreten zu können, "wobei Beschützen das aktive Demonstrieren von Durchsetzungsfähigkeit und (physischer) Schlagkraft und die Fähigkeit, Angst einzujagen, beinhaltet". Äußeres Symbol der 'wahren Männlichkeit' ist ein voller und gut gepflegter Vollbart, der die Aufmerksamkeit auf dessen Träger ziehen soll und somit die gegenteilige Funktion des Schleiers der Frauen erfüllt.

Die Widersprüche zwischen den rigiden geschlechtsspezifischen Normen und den "realen Bedürfnissen" der Menschen, legt die Autorin gegen Ende ihres Beitrags dar, führt zu "(klandestinen) sozialen Praktiken", wie etwa männliche Prostitution und gleichgeschlechtlicher Sex.

Titelbild

Marion Strunk (Hg.): Gender Game.
Konkursbuchverlag, Tübingen 2002.
255 Seiten, 15,50 EUR.
ISBN-10: 388769239X

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