Falsche Frage, richtige Antwort

Mit Rudolf Arnheims "Film als Kunst" ist ein Klassiker der Film- und Wahrnehmungstheorie wieder zugänglich

Von Florian FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Einführung des Tonfilms bedeutete den Tod des Kinos. So jedenfalls empfand es Rudolf Arnheim, der als der große Gegner des neuen Mediums in die Filmgeschichte eingegangen ist. "Film als Kunst", sein erstes Buch, erschien erstmals 1930. Dass es jetzt wieder aufgelegt worden ist, verwundert nicht, denn die Renaissance der Wahrnehmungstheorie macht diesen Grundlagentext der Filmtheorie nachgerade unverzichtbar.

Arnheim - Jahrgang 1904 - war Redakteur der "Weltbühne" und hatte bei den Gestaltpsychologen Max Wertheimer und Wolfgang Köhler promoviert. Vieles aus "Film als Kunst" stammt aus den frühen Weimarer Feuilletons und dieser polemische Zug hebt das Buch positiv von Arnheims etwas pedantisch geratenen späteren Arbeiten ab. Filmkritik und Kunstpsychologie vereinend, wollte Arnheim mit "Film als Kunst" zeigen, dass "die Filmkunst nicht vom Himmel gefallen ist sondern nach denselben uralten Gesetzen und Prinzipien arbeitet, wie alle andern Künste auch."

Jüngere Film-Theorien erklären den Wirklichkeitseindruck beim Zuschauer weniger aus dem Filmbild selbst, als aus dessen Wechselwirkung mit dem Zuschauer, bzw. dessen Disposition im Kinosaal. Hier ist Arnheims Ansatz natürlich produktiv, denn Aufgabe der Kunstpsychologie ist ja gerade die Interaktionen im Erleben und Verhalten der Künstler, Interpreten und Betrachter von Kunst zu erklären. Arnheim analysiert die Unterschiede zwischen dem Eindruck wirklicher und der fiktiver Bilder im Erleben des Betrachters. Das Auge wird schöpferisch, d.h. das Kunstwerk entsteht im Auge des Betrachters - man sieht schon die Anschlussfähigkeit an neuere Theoreme. Arnheim macht sich daran, die materiellen Grundlagen des Kinos zu betrachten: das Wechselspiel von Form und Inhalt, von Raum und Licht etc.

Daher ist "Film als Kunst" auch für eine fotographische, bzw. kompositorische Analyse des Filmbildes unverzichtbar. Gerade da, wo sich Filmtheorie zu sehr - wie es lange der Fall gewesen ist - an der Narration und zu wenig an den Bildern orientierte.

1999 setzte sich der inzwischen fast hundert jährige Kunstpsychologe, der heute in Amerika lebt, erneut mit seinem Buch von 1930 auseinander. In dem Aufsatz "Die Verkopplung der Medien" räumt Arnheim ein, dass die Arbeiten von Siegfried Kracauer oder Andre Bazin seine damaligen Ansichten relativiert haben. Er schreibt: "Das Medium Film profitiert, wie mir inzwischen deutlich geworden ist, von einer Freiheit, einem Bewegungsspielraum, den ich mir nicht leisten konnte in Betracht zu nehmen, als ich um die Autonomie des Kinos kämpfte. Es steht dem Film frei, Ton zu verwenden oder nicht, mit Farbe zu arbeiten oder nicht, einen begrenzten Rahmen oder einen endlosen Raum zu vermitteln. Er kann die Raumtiefe ebenso ausschöpfen wie die Möglichkeiten, welche die plane Fläche bietet." Aber es handelt sich eher um eine späte Verteidigung als um eine wirkliche Selbstkritik. Noch in diesem Beitrag tritt Arnheim als Verteidiger der "Medienreinheit" im Kampf gegen die Vermischung bzw. "Verkopplung" einzelner Medien auf. Die Rede von den "strikten Anforderungen der Kunst" und dem Gesetz der Sparsamkeit der Mittel usw. wird ungebrochen fortgesetzt. So erklärte sich schon seine in "Film als Kunst" formulierte strikte Ablehnung des Tonfilms. Mediale Heterogenität bleibt Arnheim fremd. Hätte er wirklich selbstkritisch sein wollen, hätte er wohl zugeben müssen, dass die Frage, ob Film Kunst sei oder nicht, schon damals falsch gestellt war.

Sicher ist Arnheims Perspektive von einer gewissen - für eine psychologisierende Kunstgeschichte nicht untypischen - Kurzsichtigkeit. Zwar geht es ihm nicht primär darum, den Film als Kunst zu nobilitieren, doch gerade deshalb tappt er blindlings in die Fallen kultureller Legitimität.

Bereits 1930 war die Frage nach dem Kunstcharakter des Films eher kontraproduktiv. Es handelte sich nämlich um die Wiederaufwärmung der Kinodebatte der frühen Zwanziger Jahre, welche die bereits erreichte Anerkennung des neuen Mediums in Frage stellte. Film war ja aufgrund seiner gesellschaftlichen Bedeutung - als (potenzielles) Mittel der Verständigung zwischen Menschen - immer schon mehr als 'nur' Kunst.

Zudem scheint Arnheim der fundamental andere Status des filmischen Bildes zu entgehen. Denn im Kino wird die Unterscheidung zwischen dem Bild als psychischer und der Bewegung als physischer Realität trügerisch, weil wir Schnitte sehen, die selbst in Bewegung sind. Das aber heißt vor allem, dass die "mythische Starre" des traditionellen Bildes im Kino gebrochen wird - wie der italienische Philosoph Giorgio Agamben anmerkt - und die traditionellen kunstgeschichtlichen Kategorien nur noch sehr bedingt zur Anwendung gebracht werden können.

"Film als Kunst" ist aber auch und gerade deshalb von ungebrochener Aktualität, weil - wie Arnheim in einem Vorwort zur Auflage von 1978 schreibt - "die Analyse der formalen Ausdrucksmittel nicht etwa irrelevant ist [...], sondern jeder ideologischen Analyse unumgänglich vorausgehen muss."

Titelbild

Rudolf Arnheim: Film als Kunst.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
325 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 351829153X

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