Wenn man die Theorie nicht hätte

Nicholas Draysons Debütroman "Der goldene Skarabäus"

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem Brief an seinen Freund Joseph Hooker schrieb Charles Darwin 1854, er fühle sich durch die Veröffentlichung seiner Theorie über die Entstehung der Arten, die so deutlich seinem eigenen religiösen Empfinden widersprach und die, wie er fürchtete, kulturelle Umwälzungen zur Folge haben könnte, "als gestünde er einen Mord".

In Wahrheit hatte Darwin die Theorie gar nicht veröffentlichen wollen, fühlte sich aber durch einen Brief des Forschers Alfred Russel Wallace, der Darwins Ansichten teilte, dazu genötigt. Dieser hatte Darwin eine "Abschrift seiner Ausführungen zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl mit der Bitte zur Beurteilung im Hinblick auf eine Veröffentlichung" geschickt, eine Schrift, deren Inhalt Darwins eigenen Überlegungen ähnelte. Dieser hatte sich dadurch gezwungen gesehen, seine Hypothesen ebenfalls der Welt zugänglich zu machen.

Nicholas Drayson greift nun auf dieses Geschehen zurück, um seine ganz eigene Auslegung der Geschichte anzubieten. Dabei verwebt der Autor geschickt Fakten und Fiktion, indem er innerhalb seines Romans Bezug auf tatsächliche Geschehnisse und historisch reale Personen nimmt. In Wirklichkeit, so Drayson, waren weder Darwin noch Wallace von selbst zu ihren Schlussfolgerungen gelangt - statt dessen gehen ihre Ansichten auf die Ausführungen eines anderen, bisher unbekannten Forschers zurück, dessen Erinnerungen Drayson in einer Flaschenpost gefunden haben will.

Dieser Unbekannte ist angeblich zusammen mit Darwin aufgewachsen, musste dann aber infolge eines Missverständnisses England den Rücken kehren. Bevor er jedoch das Land verließ, hatte er genügend Gelegenheit, den jungen Darwin in Gespräche über den Ursprung der Arten zu verwickeln. Später, auf seiner Reise um die Welt, traf der Schreiber der Flaschenpost den Forscher (der damals mit der Beagle unterwegs gewesen sei und eigene Zuchtexperimente gemacht habe) dann nochmals. Wieder wurde über die Theorie gesprochen, wieder sträubte sich der religiöse junge Mann, die Schlussfolgerungen des Freundes vorbehaltlos anzuerkennen.

Schließlich lernte der anonyme Forscher aber auch Alfred Russel Wallace kennen und tauschte sich mit ihm, vor allem aber mit dessen gutaussehenden Assistenten, mit dem der homosexuelle Erzähler eine Affäre hatte, über seine Hypothese aus. Der eifersüchtige Wallace, der sich an demjenigen, der ihm den Geliebten ausgespannt hatte, rächen wollte, stahl nun dessen Theorie, um Darwin zur Veröffentlichung seiner Überlegungen zu erpressen. Wallace wusste, dass er den tiefreligiösen Mann damit in eine Krise stürzen konnte, für die er den früheren Freund verantwortlich machen würde. Und wirklich - Darwin bricht nach der Veröffentlichung seines Buches den Kontakt zu seinem Schulkameraden ab.

Seine Erinnerungen schreibt der uns unbekannte Forscher nun auf einer einsamen Insel, auf der er (auf der Suche nach dem sagenumwobenen goldenen Skarabäus) gestrandet ist - für Darwin. Er bittet um Verständnis für seine Fehler und hofft, den ehemaligen Freund durch seine Lebensbeichte über die Gründe seiner Handlungen aufklären zu können.

Die Geschichte wirkt bis hierhin sowohl kompliziert als auch konstruiert. Allerdings ist die Rahmenhandlung auch weniger wichtig als das, was dem Autor viel besser gelingt, als eine Geschichte zu erzählen: Nicholas Drayson, eigentlich Zoologe und Naturhistoriker, kann wunderbares Seemannsgarn spinnen. So erzählt sein Protagonist, der auf der Insel festsitzende Forscher, von Vögeln, die eine gesamte Regenzeit unter Wasser, im Schlamm eingegraben, verbringen (sogenannte Schlammschwalben). Von Seerosen, die sich aktiv über das Wasser bewegen. Von Fischen, die nur in kochend heißem Wasser überleben können. Und all dem anderen merkwürdigen Getier, das sich nur auf seiner kleinen (heute allerdings durch einen Vulkanausbruch zerstörten) Insel finden lässt. Diese ausgeklügelten Naturbeschreibungen sind es, die zum Weiterlesen anregen. Ein Überschwang an Phantasie, eine Freude am Fabulieren wird hier deutlich, die man in der Rahmenhandlung schmerzlich vermisst.

Titelbild

Nicholas Drayson: Der goldene Skarabäus. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Rita Seuß und Sonja Schumacher.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
351 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3458171487

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