Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?

Christian Krachts "1979" gibt's jetzt auch als Taschenbuch

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Christian Krachts "1979" vor zwei Jahren erschien, wurde ihm größte Aufmerksamkeit zuteil, er schaffte es gar auf die Titelseite der "F.A.Z."-Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse. Dieser prominente Besprechungsort ist per se kein Ausweis literarischer Qualität, und so war es damals auch weniger die literarische Güte des Werks, die diesen Platz sicherte, sondern vielmehr die politischen Zeitumstände: handelte Krachts zweiter Roman doch im großen und ganzen irgendwie vom Islam, und das war schließlich das Topthema des heißen Herbstes 2001.

Formal unterscheidet sich "1979" kaum von Krachts Erstling "Faserland", jener alkoholgeschwängerten Deutschlandtour eines schwerreichen Jünglings, der einen gewaltigen ästhetischen Niedergang verkraften musste: anfangs floss noch der Champagner in die sinnentleerten Hirne der Protagonisten, dann wurden die edlen Barbourjacken verbrannt, und am Ende gab's nur noch Bier mit Sirup. Eine ambivalent zu lesende Äußerlichkeits- und Markenpartitur war das Ganze. Dekadent dahinrauschendes Popmärchen ebenso wie zynisches Pamphlet ästhetischer Entgleisungen, die im Inneren des Protagonisten nur noch Ödnis produzieren.

Nun führt Kracht fort, was er damals begonnen hat: frei von Geldsorgen bereisen zwei Oberflächentypen, die ebenso gut im "Faserland" hätten auftauchen können, den sich umbrechenden Orient. Es ist 1979, das Jahr, in dem Ajatollah Khomenei die Macht im Iran übernehmen und damit der westlichen Dekadenz des Schahregimes ein fundamentalistisches Ende setzen wird. Während auf den Straßen Teherans bereits die Panzer rollen und amerikanische Flaggen verbrannt werden, wollen der namenlose Ich-Erzähler und sein todkranker Lover Christopher auf einer der letzten großen Partys noch einmal richtig die Sau rauslassen. Unter den glamourösen "Party people" treffen sie auf den mysteriösen Rumänen Mavrocordato, der dem gefühlsresistenten Ich-Erzähler vororakelt, er werde sich demnächst halbieren. Christopher trinkt und kokst wie immer zuviel und gibt kurz darauf den silbernen Löffel ab, womit sich schon so etwas wie eine Halbierung ereignet hätte. Aber die mysteriöse Slim Fast-Kur geht noch weiter. Auf einer Pilgertour nach Tibet lösen sich die teuren Berluti-Schuhe des nunmehr einsamen Helden auf, schließlich landet er in einem chinesischen Umerziehungslager, wo auf Menschenkot gezüchtete Maden die karge Diät bereichern, aber die fortschreitende körperliche Halbierung nicht verhindern können.

Krachts gesellschaftskritisch interpretierbare Ironie: In diesem autoritären und menschenverachtenden System empfindet der Held zum ersten Mal so etwas wie Zufriedenheit, auch wenn seine geschundenen Füße statt im Berluti-Leder nunmehr in versifften Sneakers stecken.

Kracht hat nach eigenem Bekunden herzlich bei der Niederschrift des kurzen, stellenweise monströsen Romans gelacht. Die Leser sollten es ihm gleich tun, denn trotz der inhaltlichen Brutalität streut der Roman doch genügend Signale der eigenen Künstlichkeit aus und sollte damit nicht allzu ernst gelesen werden. Allein das nicht weiter motivierte Auftauchen der betont geheimnisvollen Orakel- und Deus ex machina-Figur Mavrocordatos muss doch als Provokation gegen eine realistische Lesart des Buchs verstanden werden. "1979" ist eine in sich perfekte literarische Komposition und in dieser Perfektion dermaßen künstlich, dass man es allenfalls als l'art pour l'art im Sinne des überaus komischen Films "A Clockwork Orange" rezipieren kann. Zugegeben: es gibt lustigere Lektüren. Noch drolliger als Krachts Roman waren jedoch jene im Nachhall des 11. September geäußerten ethischen Empörungen einiger Kritiker angesichts der Unverschämtheit des blasierten Autors, das katastrophale Schicksal seiner Kunstfigur amüsant zu finden.

Titelbild

Christian Kracht: 1979. Roman.
dtv Verlag, München 2003.
183 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-10: 3423130784

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