Die Zerstörung Hamburgs im Sommer 1943

Der Band "Hamburg 1943" versammelt "literarische Zeugnisse zum Feuersturm”

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Für mich ging die Stadt als ein Ganzes unter, und meine Gefahr bestand darin, schauend und wissend durch Erleiden des Gesamtschicksals überwältigt zu werden."

Das Fischer-Taschenbuch "Hamburg 1943. Literarische Zeugnisse zum Feuersturm" ist ein später Nachtrag zur Debatte um die literarische Verarbeitung der traumatischen Kollektiverfahrung des Luftkriegs. Der 2001 verstorbene Schriftsteller W. G. Sebald hatte Ende der neunziger Jahre die These formuliert, der Schrecken der Bombenangriffe auf deutsche Städte sei in der deutschen Literatur nicht vorgekommen. Eine Art Schweigegebot habe sich über die eigene Leidenserfahrung gelegt, angesichts des Leids, das von Deutschen anderen angetan wurde.

Wie zum Beweis des Gegenteils erschien 1999 in einer Neuausgabe Gerd Ledigs furios wahrhaftiger Roman "Vergeltung". Dieser kühne Versuch, dem Schrecklichen des Luftkriegs eine literarische Ausdrucksform zu geben, war bereits 1956 vorgelegt worden, doch von einer schockierten Öffentlichkeit, die sich an die Schrecken des eben Vergangenen solchermaßen nicht mehr erinnern lassen wollte, vehement abgelehnt worden. Der Roman geriet in schnelle und nachhaltige Vergessenheit. Es war Volker Hagen, der Herausgeber der vorliegenden Textsammlung, der den Roman 'wiederentdeckte' und einer nun endlich interessierten Öffentlichkeit wieder verfügbar machte.

(Vgl. literaturkritik.de 02/2003)

Ledigs Romans war aber nicht nur ein 'quantitatives' Argument in der Auseinandersetzung mit Sebalds These. Vielmehr bewies er, dass es möglich war, dem neuzeitlichen Schrecken des Luftkriegs mit literarischen Mitteln zu begegnen. Und in diesem Sinne ist auch die vorliegende Textsammlung zu lesen. Es verbindet sich mit ihr die Absicht, so das Vorwort, "am Beispiel einer Stadt zu zeigen, wie Schriftsteller auf die völlig neue Erfahrung eines künstlich erzeugten Feuersturms mit Zehntausenden von Toten reagierten und bis heute reagieren."

Die Textsammlung beginnt mit einer lakonischen Tagebuchnotiz Bertolt Brechts vom 26.7.1943 ("Hamburg geht unter") und endet mit einem Text aus dem Jahre 2002 (Jürgen Bruhn: "Der Feuersturm"). Die "Operation Gomorrha", wie die Bombardierungen der Stadt in unheilvoller Voraussicht betitelt war, begann in der Nacht des 24. Juli 1943 und wurde in den beiden Folgenächten weitergeführt. Infolge des letzten Angriffs kam es in der Nacht des 27. Juli zu jenem nichtgekannten "Feuersturm", dessen apokalyptische Dimension den Untergang der Stadt vollendete. Über diesen Schrecken gibt es erstaunlich viele literarische Zeugnisse, unter welche der Herausgeber auch einige Zeugenberichte fasst, die im Rahmen eines von der Stadt im Herbst 1943 in Auftrag gegebenen umfangreichen Berichts über die "Hamburger Luftangriffs-Katastrophe" entstanden waren. Einer dieser Augenzeugenberichte (Gretl Büttner: "Zwischen Leben und Tod", 1943) ist in die Textsammlung aufgenommen. Er entfaltet in seiner Unmittelbarkeit eine bis heute ergreifende Intensität. Von außergewöhnlicher literarischer Qualität, nicht nur im Hinblick auf die durch die Nähe zum Geschehen bedingte Zeugenschaft, sondern auch im Hinblick auf die intellektuell-literarische Verarbeitung des Gesehenen, ist Hans Erich Nossacks stiller Text "Der Untergang"(1943/1948), dem das Eingangszitat entstammt. Hage hat einen Auszug in seine Textsammlung aufgenommen. Freilich empfiehlt sich hier, drängender noch als bei den übrigen auszugsweise in dem Band versammelten Texten, Nossacks Bericht ganz zu lesen, um seine Intention und Qualität in ihrer Gänze erfassen zu können.

Einige andere Texte, die in relativer zeitlicher Nähe zum Feuersturm entstanden, wie zum Beispiel Hans Leips "Herr Pambel" (1943/1946) oder Otto Erich Kiesels "Alles totenleer" (1949), interessieren heute mehr als zeitgenössische Dokumente; dagegen ist Wolfgang Borcherts "Billbrook" (1947/1947) in ihrer literarischen Gestaltung eine nach wie vor lesenswerte Geschichte.

Die nachfolgenden Texte zum Hamburger Feuersturm berichten aus der Perspektive der Rückschau, der rekonstruierenden Erinnerung. Am Beginn steht Hubert Fichtes "Detlevs Imitationen 'Grünspan'", in dessen 17. Kapitel die Hauptfigur Jäcki über die "Operation Gomorrha" recherchiert. Neben diesen literarischen Rekonstruktionsversuchen, zu denen auch spätere Texte wie Klaus Modicks "Phänomen Feuersturm" (1986) gehören, versammelt das Lesebuch auch Autobiographisches von Zeitzeugen, so von Ingeborg Hecht, Ilse Graßmann, Hans J. Massaquoi, Ralph Giordano, Wolf Biermann und anderen.

Titelbild

Volker Hage (Hg.): Hamburg 1943. Literarische Zeugnisse zum Feuersturm.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
320 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3596160367

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