Engagement als Pflichtfach

Intellektuelle der 50er Jahre und ihre Reflexionen zur westdeutschen Politik

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Jean-Paul Sartre im Ausgang der 50er Jahre sein Konzept des universellen politischen Intellektuellen verbreitete, war Deutschlands demokratisch-parlamentarische Landschaft und vor allem die sich ins Private flüchtende Gesellschaft durch lähmenden Wertekonservativismus und Geschichts- und Politikvergessenheit ermattet. Doch der Richtungsstreit um die zukünftige internationale Ausrichtung und innere Gestaltung Deutschlands tobte auf dem kontemporären Buchmarkt erheblich wilder. Die Intellektuellen zeigten Engagement, es schien fast, als ob die Unterscheidung zwischen Künstler und Bürger aufgehoben wäre und poetische Agitation als "Pädagogik in litteris" ganz nach Walter Jens' späterer Forderung als des Schreibenden höchste Pflicht empfunden werde. Dies galt allerdings nicht nur für einen Linksintellektualismus, der sich um eine adäquate Faschismusverarbeitung bemühte, sondern auch für konservative Versuche, Deutschland von seinem Besatzungsjoch schreibend zu befreien und mit positiver Rückgewinnung deutscher Geschichte amerikanischen Kulturimperialismus abzuwehren.

Der Titel der nun vorliegenden, kurzweiligen Begegnung mit den 50er Jahren im westdeutschen Schreibbetrieb "Im Deutschen Treibhaus" deutet bereits an, aus welcher Warte diese Kompilation angestrengt wurde. Denn Wolfgang Koeppen, dessen Roman "Im Treibhaus" Pate stand bei der Sloganisierung des Denkens über diese Epoche, ist zu den schärfsten literarischen Kritikern des postfaschistischen Deutschlands zu zählen. Der "Nestbeschmutzer" Koeppen hatte in seinem 1953 erschienenen und vieldiskutierten Prosastück erkannt, dass das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie viel bedrohlicher ist als das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. An den sich im demokratischen Deutschland breit machenden restaurativen rechten Strömungen und dem unterbleibenden radikalen Wandel der Gesinnung und der politischen Praxis verzweifelt dann auch Koeppens Held, der linke Sozialdemokrat Keetenheuve, der in letzter Konsequenz keinen besseren Fluchtort mehr sieht als den Grund des Rheins. Der für die Auswahl und Einordnung verantwortlich zeichnende Ansgar Fürst wirft Schlaglichter auf zentrale literarische Produkte der 50er Jahre, wobei sein Ton bei der Vorstellung und Beurteilung der Titel eine etwas oberflächliche und verkürzende Note bekommt. Das liegt zum einen am Genre der Tagespresse, in dessen Rahmen die einzelnen Betrachtungen zuerst erschienen, zum anderen aber auch an Fürsts Anspruch, sich auf die Rezeption der besprochenen Werke zu kaprizieren. Doch sehr anschaulich wird so zum einen das gesellschaftliche Klima des noch autoritätsbedürftigen, katholischen Konservativismus deutlich, zum anderen der Kampf um Einflussnahme durch an den Rand der Gesellschaft gedrängte Intellektuelle. Das große Schweigen, das man im Namen eines soliden, homogenen Deutschlands für die verbrecherische jüngste Vergangenheit und für politische Gegenwartsstoffe übrig hatte, wurde nämlich durchaus literarisch durchbrochen. Dabei wirkte zumindest für die westdeutsche Linke Koeppen als Zugmaschine, die die Spur des konformistischen, innerlichen Nachkriegsmodells Deutschlands verließ und Bahnen zog außerhalb der gesellschaftlich tolerierten Kreise.

Was heute gern als außerliterarisches Feld entlegitimiert wird, die engagierte Literatur, die um eine Kopplung an politische, gesellschaftsrelevante Diskurse bemüht ist, sah sich auch in den 50er Jahren einer Marginalisierung ausgesetzt. Doch wo heute Argumentationen entwickelt werden, die auf eine Ablehnung von Engagement, bzw. auf die Thematisierung von sozialen Stoffen abheben, da es der Kunst ihr Eigenes nähme und eine Kunstautonomie nicht zuließe, hatte man es in der gerade entstandenen BRD im Spannungsfeld Politik-Literatur mit einer inhaltlich offeneren Auseinandersetzung zu tun. Es gab zumindest keine Einwände wegen eines angeblichen Verlassens der Diskursebene eines Literaten und auch noch keine Denunziation von politischer Literatur mit flotten Foucaultzitaten. Die Fronten verliefen eindeutiger und es fiel leichter, Literatur aus politischer Unliebsamkeit auszugrenzen. Die politischen und gesellschaftlichen Eliten und Literaten kämpften noch mit etwas offeneren Visieren. So gerieten auch Martin Walsers "Ehen in Philippsburg", Uwe Johnsons "Mutmassungen über Jakob" oder Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns" zu mittleren Skandalen. Diese wurden dann neutralisiert durch Ernst von Salomons "Der Fragebogen" und ähnlich Machwerke.

Leider gehen bei Fürsts Zeichnungen des gesellschaftlichen Umfeldes und der Rezeptionsweisen der von ihm behandelten Bücher die Texte etwas verloren, aber die mögen auch angesichts des nie über den 50er-Jahre-Kanon hinausweisenden Charakters der Analysen als bekannt vorauszusetzen sein. Dass als einziger ostdeutscher Autor Stefan Heym in den Fokus genommen wird und die Arbeiterliteratur und Betriebsromane völlig aus dem Raster dieser Zusammenstellung fallen, mag man bedauern. Allerdings hätte dies wahrscheinlich auch das Konzept des Erstveröffentlichers, der "Badischen Zeitung", gesprengt. Zudem ist der literaturwissenschaftliche Diskurs auch nicht dazu angetan, solchen Stimmen große Beachtung zu schenken. Die heutige Literaturwissenschaft versucht im Gegenteil, noch stets die Ära der politischen Literatur in der Nachkriegsbundesrepublik als temporären Sonderweg zu brandmarken, der nur notwendig war aus der solitären deutschen Geschichte samt ihrer Verarbeitung und dem noch unausgeprägten demokratischen Wesen einer Gesellschaft, die intellektuelle Vorhut noch benötigte. Ostdeutsche Literatur läuft da nur unter ferner liefen. So entbindet man heutige Intellektuelle ihrer Präzeptorenrollen, ihrer Einmischung mit dem Hinweis, die Notwendigkeit für eine solche hätte sich mit der Demokratisierung der Gesellschaft in den 60er Jahren erledigt. Merkwürdig nur, dass der deutsche Sonderweg zumindest in diesem Kontext jeglicher Grundlage entbehrt, denn es ist zwar korrekt ein besonderes Bedürfnis für intellektuelle Einmischung im postfaschistischen Deutschland zu konstatieren, doch scheint dieser Faktor nicht nur in Übergangsstadien oder demokratiefeindlichen Systemen eine Rolle zu spielen. Unter anderem zeigt dies besonders die Tradition der Friedenspreisreden und ihre Reaktionen in den 90er Jahren. Mario Vargas Llosa, Yasar Kemal und natürlich auch Martin Walsers Noten seien hier angeführt. Auch Peter Handkes engagierte Literatur, die zu seiner Ausgrenzung führte, ist hier wichtig.

Auch wenn sich selbst in den 50er Jahren viele von Sartres Konzept des allgemeinen Intellektuellen distanzierten, wurde doch ein deutlicher Kontrast deutlich zu Erzählpraxen, die nur mehr absichtslos und folgenlos sein sollen. In diesem Sinne war das Engagement der 50er sehr bemerkenswert.

Titelbild

Ansgar Fürst: Im deutschen Treibhaus. Tendenzen und Diagnosen der Adenauer-Zeit.
Rombach Verlag, Freiburg 2003.
143 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3793093565

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