Geschichten kahlen Bäumen gleich

Italo Calvinos "Schloss, darin sich Schicksale kreuzen"

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon nach wenigen Seiten bedauert man es, nur eine einfache, schwarzweiß gehaltene Taschenbuchausgabe in der Hand zu halten, und nicht eine größere und vor allem farbig gestaltete. Der Grund liegt im Sujet des Buches. Zwei Tarot-Kartenspiele bilden die Grundlage der im Buch aufgeschriebenen Erzählungen. Für den ersten Teil des Buches, "Das Schloss, darin sich die Schicksale kreuzen" ist es ein Tarotspiel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, das Bonifacio Bembo für die Mailänder Herzöge in Miniaturmalerei hergestellt hat. Der zweite Teil, "Die Taverne, darin sich die Schicksale kreuzen", stützt sich auf das "Ancien Tarot de Marseille". Ein gedrucktes Kartenspiel aus dem 18. Jahrhundert, das es heute noch in Frankreich zu kaufen gibt.

Italo Calvino benutzt diese Karten, um aus den aufgemalten und aufgedruckten Bildern seine Geschichten zu spinnen. Dabei befolgt er nicht die für Tarotkarten vorgegebenen Bedeutungen, sondern lässt sich lediglich vom "Bild an sich" inspirieren. Sodann stellt er alle diese Geschichten in eine Rahmenhandlung: Reisende durchqueren einen Wald, betreten ein Schloss und werden von den Schlossherren bewirtet. Jede Figur möchte ihre Geschichte erzählen, doch keine von ihnen vermag zu sprechen. Bis eine der Figuren zu Tarotkarten greift und mit deren Hilfe beginnt, die eigene Geschichte zu legen, die die anderen aus den Bildern herauslesen müssen.

Im Verlauf jeder Erzählung erscheinen für den Leser die dazu passenden Tarotkarten am Seitenrand. Am Ende werden alle Geschichten miteinander verknüpft sein. Drei Erzählungen werden untereinander von links nach rechts gelegt, von rechts nach links gelesen, ergeben sie drei neue Geschichten. Drei Abenteuer werden von oben nach unten gelegt, wobei die bereits liegenden Karten ebenfalls genutzt werden und mit jeweils anderer Bildbedeutung mit den neuen Erzählungen verwoben werden. Von unten nach oben gelesen erzählen sich noch einmal drei neue Geschichten. Bis am Ende ein Bilderteppich entstanden ist.

Leider ist es der zweifarbigen (schwarz-weißen) Taschenbuchausgabe kaum möglich, einen Eindruck der kostbaren und vor allem farbenprächtigen Miniaturmalerei zu geben, wie sie noch auf dem farbigen Umschlagbild zu finden ist. Dabei würde man es sich sehr wünschen, da bereits die Kürze der Erzählungen kaum Anhaltspunkte für eine genaue Vorstellung derselben in der Phantasie des Lesers geben. Die fehlende Farbigkeit der Erzählungen selbst können die Abbildungen so jedoch nicht ersetzen.

In "Die Taverne, darin sich die Schicksale kreuzen" tritt das Erreichen eines bestimmten Webschemas in den Hintergrund. Hier kommt es dem Erzähler vielmehr darauf an, auf die vielen möglichen Geschichten zu verweisen, die aus den Karten herausgelesen werden können. Und nun kommt er auch auf mehrere bekannte Figuren der Literatur zu sprechen. Parsifal, der berühmteste Ritter der Tafelrunde, den der informierte Leser eigentlich bereits im ersten Teil des Buches erwartet hätte (weiß er doch, dass Parsifal im Verlaufe seines Abenteuers in ein Schloss kommt, in dem die Menschen nur schweigen), erscheint nun als Figur in einer der Tavernen-Erzählungen. Ebenso werden die Geschichten von Lady Macbeth, König Lear, Faust, Ödipus und Justine gelegt. Doch auch hier ergibt sich wahrer Lesegenuss nur dem, der die angesprochenen Geschichten kennt, um die knappe Schilderung mit eigenen Worten zu füllen.

Literatur-Liebhaber, und vor allem diejenigen, die in der Welt-Literatur bewandert sind, werden an dieser Stelle das Buch noch einmal von vorn aufschlagen wollen, um zu sehen, ob man die zum Schloss gehörenden Erzählungen beim zweiten Lesen ebenfalls bekannten literarischen Figuren zuweisen kann.

Für alle anderen bleibt nicht viel mehr als dürftige Erzählungen und dürftige Abbildungen. Und auch der bewanderte Leser spürt diesen eklatanten Mangel. Möglich, dass eine farbige Ausgabe den Erzählungen etwas Leben einhauchen könnte.

Titelbild

Italo Calvino: Das Schloß, darin sich Schicksale kreuzen. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Italienischen von Heinz Riedt.
dtv Verlag, München 2003.
140 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3423131209

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch