Muttersterben light

Anke Velmeke changiert zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Prosa und Lyrik

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt originelleres, als einen Text mit einem Traum zu beginnen, aber es funktioniert immer wieder gut. Der Traum am Anfang garantiert den Überraschungseffekt, wenn sich plötzlich alles ins Absurde bewegt, und wenn man dann gar nichts mehr versteht, kommt die Auflösung: ach so. Das zeigt dann auch gleich, dass man es mit richtiger Literatur zu tun haben könnte, die sich eben auch mal über die Wirklichkeit erheben kann, und trotzdem immer noch ganz nah dran ist an dem, was sie fühlt und beschreibt.

Anke Velmeke hat dieser Effekt so gut gefallen, dass sie ihn zu einem der zwei Bauprinzipien ihres neuen Buchs "Fuga" gemacht hat. In die nur leicht poetisch verfremdeten Beschreibungen brechen offensichtlich immer wieder Tagträume ein, die das Geschehen in eine gewünschte oder gefürchtete Richtung weiterentwickeln, sozusagen Ally McBeal auf lyrisch. Das zweite Prinzip lässt sich bereits am Titel erkennen. Eine Fuge ist in der Musik die streng aufgebaute Form eines mehrstimmigen Gesangs, bei der das gleiche Thema von jeder Stimme nacheinander gebracht wird. Im Fall von "Fuga" sind die zwei Stimmen unterschiedliche Zeitebenen, das variierte Thema die Beziehung der Erzählerin zu ihrer Mutter, einmal als Kind und einmal als junge Frau.

Die Mutter ist vor kurzem gestorben, und nun reist die Erzählerin nach Spanien, wo sie selbst mit der Mutter einmal im Urlaub gewesen ist. Sie zieht bei zwei Männern ein und fühlt sich bald zu dem einen freundschaftlich, zu dem anderen erotisch hingezogen. Damit vermischt sind die Erinnerungen an die Mutter und an deren zahllose Geliebten, aus denen sich nie ein Vater herauskristallisiert hat. Statt dessen werden diese ständig wechselnden Beziehungen mit zunehmendem Alter der Erzählerin komplizierter und nehmen am Schluss fast die Form eines Dreiecks an.

Dabei wäre natürlich die Beziehung zur Mutter allein schon kompliziert genug, ganz ohne Männer. Die Erzählerin ist sich ihrer Gefühle alles andere als sicher, was sich im unbestimmten Sprachduktus spiegelt. Sie ringt wohl um eine sprachliche Bewältigung der Mutter, ohne dabei sonderlich erfolgreich oder originell zu sein. Auf einer Seite findet sich die Mutterzunge, der Mutterruf, das Muttermal und das Mutterkennzeichen. In Anbetracht der Tatsache, dass besagte Mutter nicht mehr unter den Lebenden weilt, muss man wohl sagen: "Muttersterben", ich hör dir trapsen. Aber für den Lentzschen Sprachwahn reicht es dann eben doch nicht.

Was Velmeke macht, die offensichtlich viel lieber einen Gedichtband geschrieben hätte, ist impressionistisches Nicht-Erzählen, poetische und leider auch pseudo-poetische Momentaufnahmen, Traumsequenzen, manchmal auch schlicht Sprachkitsch. Man wünscht sich, der Verlag hätte der Autorin den Gedichtband gegönnt, in dem sie ihre schönsten und verstörendsten Bilder hätte konzentrieren können. So aber muss sie das Ganze Roman nennen, und das ist es eigentlich nicht.

Titelbild

Anke Velmeke: Fuga. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2003.
127 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3406509754

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