Das Recht des Mannes auf den Körper der Frau

Ein Sammelband erörtert Konstruktionen und Positionen zum Verhältnis von Gewalt und Geschlecht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weltweit werden 70 % der weiblichen Mordopfer von ihren Ehegatten oder Freunden ermordet, davon ein nicht geringer Teil in Spanien, einem Land, in dem wöchentlich zwei Frauen von ihren Männern getötet werden. Zwar werden in Finnland weniger Frauen von ihren 'Partnern' ermordet, doch ist es auch dort an der Tagesordnung, dass Ehemänner ihre Frauen krankenhausreif schlagen. In Mitteleuropa werden zahllose Frauen durch Vergewaltigung und Folter zur Prostitution gezwungen, in islamischen Ländern werden sie zu Opfern von 'Ehrenmorden' oder bekommen Säure von abgewiesenen 'Verehrern' ins Gesicht geschüttet, und weltweit wird ein Drittel aller Frauen mit Gewalt zu ihren ersten sexuellen Erfahrungen gezwungen. Zweifellos sind in aller Regel Männer Täter und Frauen Opfer zwischengeschlechtlicher Gewalt. Daher könnte man erwarten, dass diese Art der Gewalt auch den Schwerpunkt des von Frauke Koher und Katharina Pühl zum Thema "Gewalt und Geschlecht" herausgegebenen Sammelbands bildet. Doch steht Gewalt "als konstitutive Ressource von Männlichkeit" in dem aus einer im Jahre 2001 veranstalteten Vortrags- und Filmreihe der "Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauen- und Geschlechterforschung" der Universität Kassel hervorgegangenen Buch nicht im Vordergrund.

Vielmehr werden vielfältige Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit im und durch Gewalthandeln sowie in Gewalterfahrungen beleuchtet und erörtert. Zu ihnen gehören die "paranoide[n] Kampfhandlungen" männlicher Jugendlicher, die sich in Gewaltbereitschaft gegenüber Fremden äußern und von Rolf Pohl untersucht werden, ebenso wie antischwule Gewalt, deren Hintergründe der ehemalige Leiter des Anti-Gewalt Projektes des Lesben- und Schwulenverbandes in Nordrhein-Westfalen Jens Dobler erhellt.

Unter den Beiträgen sticht besonders Regina-Maria Dackweilers Untersuchung der rechtspolitischen Konstruktionen sexueller "Verletzungsoffenheit" und "Verletzungsmächtigkeit" am Beispiel der schweizerischen und der deutschen Verrechtlichung von Vergewaltigung in der Ehe hervor. Die Politikwissenschaftlerin vertritt vor allem zwei miteinander verknüpfte Thesen, deren erste lautet, dass der Staat das Geschlechterverhältnis "im privaten Bereich ehelicher Intimität" entweder als eine "legitime gewalt- und herrschaftsförmige Relation" zwischen den Genus-Gruppen regeln oder als "ein auf Gewaltfreiheit und Egalität beruhendes Verhältnis von gleichberechtigten Individuen" normieren muss. Gemäß der zweiten These definieren die Beteiligten in der "geschlechterpolitischen Diskursarena", wer überhaupt sexuell verletzen und wer sexuell verletzt werden kann, wobei "Verletzungsmächtigkeit" und "Verletzungsoffenheit" der Geschlechter unter Bezugnahme auf körperliche Integrität und sexuelle Selbstbestimmung verteilt sind. Anders als die Bundesrepublik, die seit der jüngsten von Frauen sämtlicher Fraktionen durchgesetzten Strafrechtsreform die Vergewaltigung in der Ehe als Offizialdelikt festlegt, hält das schweizerische Strafrecht auch nach der Reform von 1992 an "Sonderrechte[n] über Ehefrauen" fest, insbesondere daran, dass Vergewaltigung in der Ehe nur auf Antrag der Geschädigten verfolgt wird. Außerhalb der Ehe, so Dackweilers ebenso provozierendes wie überzeugendes Fazit, ist Vergewaltigung eine "gewaltförmige Aneignung fremden Eigentums", daher sozialschädlich und ein Offizialdelikt. Bei der Vergewaltigung der Ehefrau in der "Privatheit der Institution Ehe" ist 'öffentliches Eigentum' nicht betroffen. Vielmehr handelt es sich um einen "Beziehungskonflikt", der gemäß dieser Logik ein Antragsdelikt der 'Konfliktpartnerin' ist.

Nicht weniger überzeugend sind Dackweilers Darlegungen zur gesetzlich zementierten Verteilung der Subjekt- und der Objektpositionen einer Vergewaltigung auf Männer hier und Frauen da. Alleine die Penetration einer Vagina durch einen Penis gilt nach schweizerischem Recht als Vergewaltigung. Alle andern Körperöffnungen oder Penetrationsgegenstände sind zur Erfüllung dieses Tatbestands untauglich. So können Männer nur Täter, nicht aber Opfer einer Vergewaltigung sein, Frauen umgekehrt nur Opfer, nicht aber Täterinnen. Diese Rechtslage, so Dackweiler, gieße die geschlechterspezifische Verteilung von Subjekt- und Objektpositionen in gesetzliche Normen und sei "gleichermaßen realitätsverleugnend wie realitätskonstruierend".

Zwar wird zwischengeschlechtliche wie auch Gewalt überhaupt ganz überwiegend von Männern ausgeübt. Doch gibt es auch role models 'weiblicher' Gewalt, wenngleich - wie Katharina Pühl im einleitenden Aufsatz feststellt - meist nur in Subkulturen und Medien.

So gelten denn auch zwei der Beiträge der von Frauen ausgeübten Gewalt. Frauke Kohler konstatiert in ihrer Untersuchung über die - vermeintliche - Friedfertigkeit von Mädchen zunächst, dass sie "in zunehmendem Maße gewalttätig" werden, und beleuchtet insbesondere die "psychologische Dimension" dieser Entwicklung. Dabei will sie gewalttätiges Verhalten von Mädchen nicht mehr etwaigen "ungünstige[n] Sozialisationseinflüsse[n]" zur Last legen, sondern es als einen "bewusst oder unbewusst gewählte[n] Umgang" mit den "spezifischen Anforderungen, Belastungen und Widersprüchen" im Leben der Mädchen betrachten und "als "Möglichkeit, Weiblichkeit zu konstruieren" analysieren.

Ausgehend von einem sozialkonstruktivistischen Theorieansatz untersucht Kirsten Bruhns Gewaltbereitschaft und -ausübung von Mädchen und jungen Frauen in subkulturellen Jugendgangs. Dabei wendet sie sich gegen die Auffassung, hierbei handele es sich um Nachahmung männlichen Verhaltens. Denn derartige Deutungen reproduzierten und verstärkten nicht nur geschlechterstereotype Zuschreibungen; sie basierten zudem auf einem "statische[n] Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit", das die soziale und kulturelle Konstruktion von Geschlecht nicht berücksichtige. Tatsächlich imitierten die Mädchen nicht etwa die "männliche Lebensentwürfe und Handlungsorientierungen", sondern nähmen vielmehr "Handlungsoptionen" wahr, die "im Zuge historischer und gesellschaftlicher Veränderungsprozesse von Geschlechtszuschreibung und Geschlechterverhältnissen" entstanden sind. Betrachte man die Selbstdarstellung der weiblichen Jugendlichen als soziale Praxis, in der sie immer auch ihr Geschlecht "im Prozess des 'doing gender' präsentieren und interaktiv herstellen", so könne die "gewaltbetonende Selbstdarstellung", bei der die weiblichen Jugendlichen auf geschlechtsspezifische Unterschiede von "Merkmalen, Ausprägungen und Motiven" von Gewalt hinweisen, als eine bestimmte "Konstruktion von Weiblichkeit" verstanden werden. Mit Hilfe ihrer Gewaltbereitschaft strebten weibliche Jugendliche daher einer "Neupositionierung im Geschlechterverhältnis" an. Thesen, welche die Autorin mit einer qualitativen Untersuchung über den jugendgruppentypischen Umgang mit Gewalt stützt, die sie unlängst gemeinsam mit Svedy Wittmann durchgeführt hat.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind nicht so eindeutig, wie sie von der Autorin interpretiert werden. Zwar unterscheidet sich Ausübung von Gewalt und deren Begründung bei den weiblichen Mitglieder der untersuchten Gruppe von derjenigen der Männer, doch deutet etwa die Aussage eines der Mädchen "nee, warum sollen Mädchen nicht auch so sein dürfen wie Jungs? Das seh' ich überhaupt nicht ein" durchaus darauf hin, dass sie sich - zumindest auch - an den männlichen Mitglieder ihrer Gruppe orientiert. Auch kommt "[d]as Streben nach einer Neupositionierung im Geschlechterverhältnis" in der Gewaltorientierung der Mädchen nicht - wie die Autorin behauptet - "deutlicher" zur Wirkung als in deren "beruflichen, familialen oder partnerschaftlichen Orientierungen". Vielmehr zeigt die Untersuchung eindeutig, dass die jungen Frauen eine "Neupositionierung im Geschlechterverhältnis" soweit es Beruf, Familie und Partnerschaft betrifft gar nicht anstreben. Im Gegenteil: in all diesen Bereichen zeigen sie sich ausgesprochen traditionell, an den patriarchalischen Erwartungen der Männer, insbesondere ihrer jeweiligen Partner orientiert - im übrigen ein nicht zu unterschätzendes Indiz dafür, dass für ihre Gewaltbereitschaft die Erwartungen des Partners und der sie umgebenden Männerumwelt ebenfalls eine Rolle spielen.

Titelbild

Frauke Koher / Katharina Pühl (Hg.): Gewalt und Geschlecht. Konstruktionen, Positionen, Praxen.
VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage, Leverkusen 2002.
230 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3810036269

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