Ein zauberhaftes Buch

Rafik Schami erläutert mit den Augen eines kleinen Mädchens "Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm"

Von Axel SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rafik Schami, ein 1946 in Damaskus geborener Christ, der sein Land verlassen musste und seit 1971 in der Bundesrepublik lebt, zählt zu den bedeutendsten Autoren deutscher Sprache. Seine Bücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Nun hat er wieder ein kleines literarisches Kunstwerk vorgelegt: das originelle Bilderbuch "Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm", das von Ole Könnecke ganz ausgezeichnet und witzig illustriert wurde. Vor allem mit Hilfe der sanften, flächigen Farben erzielt Könnecke durchweg sparsame, aber eindrückliche Effekte. Text und Bild erzählen davon, wie ein kluges kleines Mädchen dem großen Vater beibringt, dass man sich nicht vor anderen Menschen fürchten muss, bloß weil sie eine andere Hautfarbe haben und sich womöglich anders verhalten als man selbst. Es ist eine einfache, mit pädagogischem Impetus erzählte Geschichte, die auf sehr wohltuende Weise ohne den allerorten überstrapazierten moralischen Zeigefinger auskommt. Schami erzählt und Könnecke illustriert zwar mit leiser Ironie, aber ohne Pathos und Rührseligkeit.

Dementsprechend ist auch der Plot denkbar einfach, aber ungemein tiefsinnig. Ein kleines Mädchen wohnt, "seit Mama nicht mehr da ist", nur noch mit ihrem Papa zusammen. Die besonders enge Beziehung von Tochter und Vater, beide erhalten in der Geschichte keine Namen, wird durch das Fehlen der Mutter erklärt. Die Gründe dafür bleiben unklar, sind für den Verlauf der Geschichte aber auch nicht wichtig. Vor allem ist dieser Papa kein normaler Vater: er ist ein großer, ganz lieber, starker, kluger, geduldiger, lustiger, mutiger und tapferer Mann und tut alles Erdenkliche für seine Tochter. Interessanterweise ist Papa in den Augen seiner Tochter vor allem deshalb klug, weil er mit Hilfe eines Kochbuchs Lauch, Paprika und Kartoffeln zu einem Essen verbinden kann. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird dieses Attribut von anderen handelnden Personen etwas anders akzentuiert: Wie selbstverständlich erklärt Papa dem verdutzten Albert Einstein die Relativitätstheorie. Außerdem kann er sogar zaubern, was für den weiteren Verlauf der Geschichte von erheblicher Bedeutung ist.

Dennoch hat auch er einen Schwachpunkt, der unmittelbarer Anlass für diese Geschichte ist: Er hat Angst vor Fremden und in besonderem Maße vor Menschen mit schwarzer Hautfarbe. "Er sprach nicht darüber, aber ich habe es genau gemerkt", wundert sich seine Tochter. "Immer wenn uns ein Schwarzer auf der Straße begegnete, wurde die Hand meines Papas hart und drückte zu wie ein Nussknacker." Anders als in vielen anderen Geschichten erhält der Vater bei Rafik Schami aber die Chance, seine Angst zu erklären: "Weil sie mir unheimlich sind. [...] Sie sind überall [...] Und sie sind schmutzig [...] und laut [...] Sie sprechen Sprachen, die man nicht versteht [...] und sehen anders aus, so grob [...] Überhaupt sind Schwarze zu dunkel. Jeder fürchtet sich vor dem Dunklen, weil es unheimlich ist." So zumindest versucht es der Papa seiner kleinen Tochter zu erklären, die dem zunächst nichts entgegen zu setzen weiß. Auch wenn hier die gängigen Klischees der Xenophobie aufgerufen werden, entspricht der Vater, vor allem nach dem Bild, das die Tochter vorher von ihm gezeichnet hat, nicht dem gängigen Bild dumpfer Fremdenhasser.

Auch an dieser Stelle ist vor allem das interessante Wechselspiel zwischen Text und Bild zu rühmen, da Könneckes Bilder so manchen Phantasieraum zwischen den Worten füllen bzw. die Worte an den Bildern messen und umgekehrt. Die Aufzählung der Ressentiments des Vaters etwa steht in deutlichem Widerspruch zu den Bildern, die diese Stereotypen widerlegen. Der Vorwurf, Schwarze seien schmutzig, wird dadurch konterkariert, dass im Hintergrund ein Schwarzer zu sehen ist, der den Boden fegt. Nur der Kern der väterlichen Aussage, dass die Fremden so dunkel seien und sich doch jeder vor dem Dunklen fürchte, wird ernst genommen; mit dem schmollenden Vater und der ratlos wirkenden Tochter werden ganz nebenbei auch noch die Rollen innerhalb der Familie verkehrt: aus dem starken Papa ist ein Mensch geworden, der seine Ängste und Probleme nicht versteckt.

Daher überlegt sich die Tochter eine Strategie, wie sie ihrem Vater die Angst vor den bzw. dem Fremden nehmen kann. Eine passende Gelegenheit ergibt sich rasch, denn am Samstag ist sie als einzige aus ihrer Klasse zum Geburtstag bei ihrer Freundin Banja eingeladen, und da ihr Papa doch so gut zaubern kann, soll er ihr ganz persönliches Geschenk für Banja sein, die "nichts auf der Welt mehr liebt als Zauberer". Mit allen zur Verfügungen stehenden Möglichkeiten töchterlicher Raffinesse, denen der Vater natürlich rettungslos unterlegen ist, realisiert sie ihren Wunsch, ohne allerdings ihrem Papa zu verraten, dass ihre beste Freundin aus Tansania kommt, schwarz ist und zu ihrem Geburtstag die ganze Familie eingeladen ist. Einfühlsam erzählt Rafik Schami, wie der Vater seine durch Vorurteile genährte Angst vor Fremden angesichts der überbordenden Höflichkeit und Freundlichkeit der tansanischen Familie verliert, die in ihm - angestoßen durch die ausschmückenden Berichte ihrer Tochter Banja, die in den Erzählungen ihrer Mutter noch einmal gesteigert werden - den "größte[n] Zauberer und Medizinmann seines Volkes" erblickt. Schami spiegelt das irrationale Vorurteil des Weißen von der anderen - der schwarzen - Seite durch das Instrument aberwitziger Übertreibung, wenn der unmittelbare Anlass, Banjas Geburtstag, hinter einer Prozession zu verschwinden droht, als gälte es bei dem Besuch der weißen Gäste, einem König oder einer Gottheit zu huldigen. Mit dieser Szene bricht die Handlung ab, das Ende bleibt offen. Hier liegt auch, wenn man so will, die einzige kleine Schwachstelle dieses Buches: Während der Anfang ausgesprochen ausführlich erzählt wird, kommt das Ende doch sehr abrupt. Warum der namenlose Vater nun, nachdem er seinen Zaubertrick vorführen konnte, keine Angst mehr hat, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Nur die freundliche Aufnahme von Fremden nimmt nicht automatisch die Angst vor ihnen. Vielleicht aber können Kinder mit diesem Ende besser umgehen als Erwachsene, für die dieses Buch schließlich auch nicht primär geschrieben wurde.

Die Geschichte für Kinder ab fünf Jahren zeigt eindrucksvoll, dass Kinder ihren Eltern mehr beibringen können, als man denkt - unter der Voraussetzung allerdings, dass diese offen sind für ihre Hilfe. In Zeiten grassierender Ausländerfeindlichkeit und stupider Vorurteile greift Schami mit seinem Buch ein ebenso sensibles wie wichtiges Thema auf, das gar nicht früh genug an Kinder herangetragen werden kann. Rafik Schamis Bilderbuch ist - vor allem auch durch die begleitenden Illustrationen Ole Könneckes - eine großartige, im wahrsten Sinne des Wortes zauberhafte, überaus gelungene Geschichte darüber, wie aus Fremden Freunde werden können, wenn die Schranken der Intoleranz, aber auch der Angst auf beiden Seiten fallen. Gleichzeitig ist es ein feuriges Plädoyer für den Blick auf die so komplizierte und chaotische Welt der Erwachsenen mit Kinder-Augen, die deren Verstrickungen mitunter spielerisch leicht erkennen und lösen können. Und nicht das schlechteste Argument für ein Buch ist der Umstand, dass die Lektüre enormen Spaß gemacht hat. Ein Buch, das in keinem Kinderzimmer fehlen sollte!

Titelbild

Rafik Schami / Ole Könnecke: Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
32 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3446203311

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