Von Sex und anderen Großstadtproblemen

Jenny Eclairs "Vorstadt"-Roman über Leben, Liebe und die Vögelei mit dem Klempner

Von Melissa WesselhoftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melissa Wesselhoft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klickt man auf die Homepage des Verlags "Zweitausendeins" und gibt man den Namen Jenny Eclair in das Suchfeld ein, so erhält man als einzige Auswertung den Titel ihres aktuellen Romans "Vorstadt-Schönheit" nebst Interview mit der Autorin und einigen Kommentaren verschiedener englischer Zeitungen. So beschreibt "The List" das Buch als "bissig, vulgär, extrem flüssig und geht angenehm runter". Der "Sunday Express" definiert ihn als "Geschichte zweier Ehepaare, genau, böse und sehr witzig".

Leser von zumeist niveauvoller Lektüre werden spätestens nach diesen Kommentaren das Buch gar nicht erst in die Hand nehmen wollen. Man könnte denken, Hera Lind hätte es geschrieben, weil die Witze so ausgelutscht sind wie Kinderbonbons. Aber falsch! Im Interview erklärt die Autorin, dass sie lediglich ein "modernes moralisches Märchen" habe schreiben wollen, in dem sie die Probleme der modernen Großstadtmenschen behandelt. Meistens die Horizontale betreffend. Die Autorin vermischt autobiografische Einflüsse mit auch sonst sehr grafischer Sprache. Hier gibt es keine Mitte: entweder man liebt sie oder man hasst sie.

Der Roman spielt in der Straße, in der die Autorin und Kabarettistin Jenny Eclair aufgewachsen ist: Lark Grove, "im Süden Londons im nettesten üblen Viertel der ganzen Hauptstadt, wo weder Engel noch Normalsterbliche oder Pit Bulls sich hintrauen".

In 67 Kapiteln wird die Geschichte von Anna und Chris Cunningham und Jo und Nigel Metcalf erzählt, zwei Ehepaaren aus derselben Nachbarschaftim gut situierten intellektuellen Milieu der englischen Mittelschicht, die beide zwei Kinder haben. Doch schnell stellen sie fest, dass alle vier überkreuz viel besser zusammenpassen würden. Der sexsüchtige Nigel wirft mehr als nur einmal ein Auge auf sexy Anna, und Jo bevorzugt eher den ruhigen soliden Chris: "Die Ereignisse überschlagen sich für alle Bewohner der Lark Grove wie Autos bei einem Auffahrunfall auf einer nebligen Straße."

Im ersten Kapitel "Hallo" stellt uns die allwissende Erzählerin den Ort des Geschehens vor: die Lark Grove SE5, "wo große Häuser mit je fünf Stockwerken und großen Eingangstüren Schulter an Schulter stehen". Der Leser fühlt sich gleich mitten in das Geschehen versetzt, nicht zuletzt auch wegen der wenige Zeilen später folgenden Aufforderung "Kommen sie herein, schließen sie die Tür und atmen sie den Kaffeeduft ein". Außerdem wird der Leser über die Bewohner und deren Wohnverhältnisse in der Lark Grove unterrichtet

Die Erkenntnis, dass Eclair ihre Geschichten mit plastischer, fast grafischer Sprache wiedergibt, wirkt an manchen Stellen fast schon erschreckend: Wenn Mutter Anna im 5. Kapitel "Fish-and-Chips-Zungen und Ofenkartoffel-Popos" den Hintern ihrer pummeligen hässlichen dreijährigen Tochter Pandora als eine "riesengroße mit Chilis gefüllte Ofenkartoffel" bezeichnet, grenzt das schon an Geschmacklosigkeit, gehört aber wohl zum Image und zur Strategie der Autorin dazu. Sie wird schon als die Nachfolgerin von David Sedaris gesehen.

Die übrigen Kapitel behandeln auch alle das Alltagsleben und die Probleme der beiden Paare, wobei das Thema Sex immer mehr in den Vordergrund rückt. Kapitel 38 mit dem bezeichnenden Titel "Sex, Sex, Sex" lässt sich lesen wie ein billiges "Diana"-Heftchen: "Einmal war unanständig genug. Sie taten es immer wieder, Danny und Anna, Anna und Danny". Und weiter: "Aber diese Mrs. Cunningham war ein geiles Miststück".

Spätestens hier versteht man, warum der Untertitel des Buches "Ein Roman über Leben, Liebe und Vögelei mit dem Klempner" lautet: Danny ist nämlich Klempner, in dem Anna ein Abenteuer als Kontrast zu dem langweiligen Chris gesucht und gefunden hat. Um das Aufdecken der Affäre (freilich erfolglos) zu vermeiden, hat Anna eine Lösung parat: "Wie erklärt man dem Ehemann die Borstenabdrücke auf dem Hintern? Oh, tut mir leid, Liebling, ich muss mich auf ein Stachelschwein gesetzt haben."

Bei solcher Schlagfertigkeit möchte man einfach nicht mehr, möchte man das Buch zuklappen. Aber es ist wie eine Sucht: Man möchte immer mehr davon.

Ist schon der Stil mehr als nur irritierend, so sind auch die Erzählperspektiven nicht immer eindeutig zuzuordnen: Im ersten Kapitel dominiert die allwissende Erzählerin, im zweiten wird das Geschehen aus der Ich-Perspekive von Anna wiedergegeben, im dritten erzählt Jo, Annas Nachbarin und Freundin. Dieses Schema wird aber nicht konsequent durchgehalten, so dass der Leser zu vielleicht ungewollten Gedankensprüngen gezwungen ist.

Jenny Eclair wollte "ein modernes, moralisches Märchen" schreiben, in dem alltägliche Probleme mit Partnern, Kindern, Nachbarn und Kollegen aus der Normalität geholt werden. Dabei hat sie typische Lebensveränderungen von Großstadtmenschen, darunter Entfremdung und Denaturierung krass und kompakt dargestellt: "Sie wusste nicht, dass es sowas wie den Milchmann gab". Zugleich ein schockierendes Bild. Da verzichtet man gerne auf etwas Niveau.

Titelbild

Jenny Eclair: Vorstadt-Schönheit. Ein Roman über Leben, Liebe und die Vögelei mit dem Klempner.
Übersetzt aus dem Englischen von Juliane Zaubitzer.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2003.
448 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3861505118

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