Cowboy oder Schweinemastbetrieb

"Mitten in Amerika” spielt der neue Roman von Annie Proulx

Von Eva SattelmayerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Sattelmayer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In eine "plattärschige Gegend", dort, wo Oklahoma und Texas zusammenlaufen, wird Bob Dollar von seinem Boss geschickt, um Grundstücke für Schweinemastbetriebe zu finden. Aber Schweinefarmen stinken, verursachen Gesundheitsschäden, verseuchen das Grundwasser und schaffen nur wenige, schlechtbezahlte Arbeitsplätze. Und in die panhandles, wie das Gebiet des ehemaligen Wilden Westens genannt wird, passen sie auch gar nicht rein. Deswegen will sie niemand und deswegen arbeitet Bob, der in seinen Zwanzigern ist, auch Under Cover. Das Problem mit Bob ist nur, dass er selber gar nicht weiß, was er will. Seine Eltern haben ihn mit acht Jahren vor dem Haus seines Onkels abgestellt und sind auf ewig in Alaska verschwunden. Bobs einziger Kindheitsfreund war ein böser, dicker Junge, mit dem er sich Filme wie "Mit drei Nymphomaninnen im Tresorraum eingesperrt" angeguckt hat. Sein Onkel Tam ist ein lieber Kerl, der einen Laden für gebrauchte Sachen hat und der ein eifriger Sammler von "Plastikkunst" ist, aber arm und außerhalb der Gesellschaft lebt. Bob möchte nicht so enden. Er denkt sich allerlei Geschichten über sein Leben aus und vergisst manchmal selber was die Wahrheit ist.

Nach den beiden Welterfolgen "Das grüne Akkordeon" und "Schiffsmeldungen", welches von Lasse Hallström verfilmt worden ist, hat Annie Proulx mit "Mitten in Amerika" einen weiteren dicken Schmöker vorgelegt. Ein bißchen zu dick. Ganze 500 Seiten liest man über die vergeblichen Versuche Bob Dollars, passende Grundstücke zu finden. In die Suche sind viele Gerüchte und kuriose Geschichten und Legenden des Wilden Westens verwebt. Da ist zum Beispiel der Holländer Habakuk, der Windräder repariert, sich selbständig macht, ein Grundstück kauft, unter dem zufällig eine Ölquelle liegt und ein großer Geschäftsmann und Milliardär wird. Die gut recherchierten Darstellungen des panhandles bringen dem Leser die Gegend mit diesen verschrobenen Menschen näher. Ein alter Mann klärt Bob über die unterschiedlichen Regionen auf, "in Texas wohnen die Schlauen" und Oklahoma "zieht immer die Arschkarte", kein Wunder also, "dass dieser McVeigh das Bundesgebäude in Oklahoma City in die Luft gejagt hat".

Bob lebt zur Untermiete bei LaVon, die ein Buch über die Geschichte der Region schreiben möchte und nie aufhört zu reden. Sie erklärt ihm auch den Ku-Klux-Klan, das waren nämlich "anständige Christen mit patriotischen und ritterlichen Idealen", die zu Weihnachten Lebensmittelkörbe für notleidende Familien packten. Sie findet, dass der Panhandle "ohne den Klan nicht der Panhandle wäre". Dem Freund von Onkel Tam hingegen ist es unverständlich, dass "irgend jemand sich zu einer Religion bekennen kann, die sich eine Hinrichtungsszene als Hauptsymbol ausgesucht hat". Theorien wie diese finden sich immer wieder in dem Buch und verkürzen dem Leser seine Langeweile.

Mit merkwürdigen, originellen Bildern spart Proulx nicht, so hat der Himmel die Farbe von "kaltem Tee" und die Stimme einer Frau wird als "grobgemahlene Erdnussbutter" beschrieben. Die Stärke des Buches liegt in seinen sprachlichen Raffinessen und die Übersetzung ist Melanie Walz gut gelungen.

Dennoch bleibt während des Lesens das Gefühl, eine aus vielen Einzelteilen bestehende Erzählung vor sich zu haben, der es nicht gelingt, sich zu einem großen Ganzen zu vereinigen.

So ist auch das Ende sehr überraschend. Nach einer abstrusen Mordgeschichte entschließt sich Bob, dass die Schweinemastindustrie wohl doch nichts für ihn ist. Mit Cowboystiefeln und Cowboyhut möchte er helfen, die guten alten Zeiten wieder heraufzubeschwören. Ende gut, alles gut. Und dann hat der Leser es geschafft und kann stolz auf sein Durchhaltevermögen das Buch zuklappen.

Titelbild

Annie Proulx: Mitten in Amerika. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Melanie Walz.
Luchterhand Literaturverlag, München 2003.
511 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3630871429

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