Feminismus und Frauenbewegung sind nicht dasselbe

Ein Sammelband zu Gesellschaftstheorie und feministischer Kritik

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem Maße wie die vor dreißig Jahren so virulente Frauenbewegung erlahmt, erstürmt die feministische Theorie immer neue Gipfel. Einige Bewegungsfrauen haben den akademischen 'Berufsfeministinnen' allerdings vorgehalten, es sei der fensterlose Elfenbeinturm, in dessen dunklen Höhen sie sich immer mehr versteigen. Ein kaum begründeter Vorwurf mit gelinde intellektuellenfeindlichem Zungenschlag. Sicher ist allerdings, dass Feminismus und Frauenbewegung nicht identisch sind, wie Paula-Irene Villa in ihrem Aufsatz "Woran erkennt man eine Feministin?" einmal mehr feststellt. Allerdings bleiben die Kriterien, die Feminismus und Frauenbewegung unterscheiden, bei Villa verschwommen. Zwar bestimmt sie Feminismus als "Einsicht in die strukturelle, herrschaftsförmige, historische gewordene Ungleichheit und Ungleichgewichtigkeit der Geschlechter im Zusammenhang mit anderen (Ungleichheits-)Strukturen", die mit dem Anspruch verbunden ist, "anhand verschiedener Praxen diese Strukturen zu überwinden". Unausgesprochen bleibt hingegen, wie sich die Frauenbewegung von dieser Bestimmung abhebt. Die Autorin belässt es bei der eher vagen These, dass Feminismus und Frauenbewegung weder identisch sind noch dergestalt voneinander abhängig, "dass das eine ohne das andere nicht sein kann". Als eines von mehreren Unterscheidungskriterien könnte etwa geltend gemacht werden, dass zwar sowohl Frauen als auch Männer Feministen sein können, jedoch nur Frauen Teil der Frauenbewegung. Allerdings scheint die Autorin dergleichen nicht im Sinn zu haben, vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass sie Feminismus als (kritische) Theorie, die Frauenbewegung hingegen als (emanzipatorische) Praxis fasst. Denn die "zentrale Frage" ist Villa zufolge, ob Feminismus und Frauenbewegung "gesellschaftlich wirkungsmächtig" sein können, also ohne dass sie gleichzeitig auftreten. "Feministische Ziele und Deutungen", so die Autorin, gehören heute zum "Alltagsverständnis". Doch habe die "akademische, theoretische Erörterung" im Alltagsbewusstsein "an Komplexität eingebüßt". Das sei jedoch nicht bedauerlich, sondern eine notwendige Voraussetzung, um "breitenwirksam" und " mobilisierend" wirken zu können. Daher könne man die Erfolge der Frauenbewegung nicht auf der einen Seite feiern, ihr aber auf der anderen Seite "Simplizifierung[en]" vorwerfen. Das mag wohl richtig sein, umgekehrt gilt jedoch auch, dass die Frauenbewegung nicht von den Erkenntnissen des akademischen Feminismus profitieren und ihm gleichzeitig vorwerfen kann, er betreibe Glasperlenspiele. Jedenfalls stellt Villa fest, dass sowohl feministische Intellektuelle als auch frauenpolitische Akteurinnen sehr gut wissen, "dass sie in den jeweiligen Bezugssystemen [...] eine jeweils andere 'Sprache' sprechen müssen bzw. können sowie je spezifische Handlungslogiken folgen müssen bzw. können". Das ist zweifellos zutreffend, ließe sich allerdings wohl dahingehend konkretisieren, dass feministische Akteurinnen im wissenschaftlichen Umfeld eine andere Sprache sprechen und einer anderen Handlungslogik folgen können, während feministische Wissenschaftlerinnen dies im politischen Umfeld tun müssen, wie ein schlagendes Beispiel der Autorin verdeutlicht: "Jedes Personalverfahren, an denen feministische Wissenschaftlerinnen beteiligt sind, zeugt von der inneren Zerreißprobe, an der feministische Wissenschaftlerinnen beteiligt sind, die aus diesem Wissen entstammen: ja, Frauen sollen als solche gefördert werden - auch wenn es sie als solche gar nicht gibt."

Villa stellt ihre Überlegungen in einem von Gudrun-Axeli und Angelika Wetterer herausgegebenen Band über Gesellschaftstheorie und feministische Kritik mit dem Titel "Achsen der Differenz" an. Die Beiträge nehmen die "Frage nach den 'Differenzen' unter Frauen" sowie die "soziale und kulturelle Heterogenität des feministischen Referenzsubjekts" unter gesellschafts- bzw. modernisierungstheoretischer, erkenntniskritischer und politisch-demokratie-theoretischer Perspektive in den Blick. Denn feministische Kritik, so die Herausgeberinnen im Vorwort, müsse "polyperspektivisch" sein, dürfe jedoch nicht "relativistisch" werden.

Während Villa nach dem Verhältnis von Feminismus und Frauenbewegung fragt, widmet sich Cornelia Klinger demjenigen zwischen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften. Nach dem in den letzten Jahrzehnten vollzogenen cultural turn, meint Klinger, sei nun ein "social (re)turn" notwendig, also eine "(erneute) Hinwendung zu Fragen der Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik". Doch nicht ein neuer Turn zu einer neuen bzw. ehemaligen Königsdisziplin ist angesagt, keine neue Leitwissenschaft, sondern - und diese Einsicht ist alles andere als neu - Transdisziplinarität. Denn es ist eben nicht alles Soziologie oder gar Ökonomie, wie Klingers an altmarxistische Ökonomismen angelehnten Begründungsversuche glauben machen wollen. Zwar erklärt sie, dass die Kategorien Klasse, Rasse und Geschlecht nicht "auf eine der drei reduzierbar" seien. Vielmehr habe sich der Streit um Haupt- und Nebenwiderspruch als "Irrweg mit fatalen Konsequenzen für alle Seiten" herausgestellt. Doch ungeachtet dieser Erkenntnis erhebt sie ein Viertes über die Trias: die Ökonomie oder genauer gesagt die körperliche Arbeit. Denn Klasse, Rasse und Geschlecht bildeten nur darum "das Grundmuster von gesellschaftlich-politisch relevanter Ungleichheit [Hervorhebung C. Klinger], weil Arbeit und zwar namentlich körperliche Arbeit ihren Existenzgrund und Angelpunkt ausmacht" (Hervorhebung R.L.). Ein Existenzgrund, der nur allzu sehr an vulgärmarxistische Verkürzungen der 70er Jahre erinnert, die überwunden zu haben gerade eines der Verdienste der damaligen Frauenbewegung ist. An ihre Grenze stößt die Marxistische Theorie Klinger zufolge jedoch erst, wenn sie versucht, eine "Klasse des universellen Leidens" ausfindig zu machen, die sich eines "privilegierte[n] Erkenntnisstandpunkt[es]" erfreut und als "Ausgangspunkt von Befreiung" fungieren kann.

Bedenklicher aber noch als Klingers Begründung des von ihr propagierten "social (re)turn" ist ihre Polemik gegen andere feministische Positionen. "Unter dem Vorwand der Anerkennung von Differenzen aller Art", so kritisiert sie, werde "jeder Möglichkeit gesellschaftstheoretischer Analyse und Kritik der Boden entzogen - kein unbedeutender Beitrag zur Zementierung und Sanktionierung bestehender Verhältnisse." Wenn die Anerkennung von Differenzen nur ein Vorwand ist, dann - so kann man nur schließen - ist die Zementierung und Sanktionierung der bestehenden Verhältnisse offenbar die wahre, aber verborgen gehaltene Absicht. Von hier aus ist es kaum mehr ein kleiner Schritt, um Gender Studies und Queer Studies auf der anderen Seite der Barrikade zu verorten.

Im Widerspruch zu Klingers Plädoyer für das Primat der Soziologie ist Jutta Weber der Auffassung, dass sich die "die Probleme der 'gegenwärtigen Welt [...] nicht (länger) disziplinär definieren lassen", womit sie Sabine Hark zitiert, die zu dem vorliegenden Band zusammen mit Corinna Genschel einen Aufsatz beigesteuert hat, in dem sie die im "Einleitungsaufsatz" des im Jahre 2000 von der Gruppe "questio" herausgegebenen Sammelbandes "Queering Demokratie" (vgl. die Rezension in literaturkritik.de 12/2000) entworfene "demokratietheoretische Rahmung" sexueller Politiken weiterentwickeln. Webers erhellender Beitrag widmet sich allerdings nicht demokratietheoretischen Fragen, sondern hat sich zur Aufgabe gestellt, eine "Perspektive von feministischer Wissenschaftsforschung als hybrider Technologie" zu entwerfen. Mit dem Neologismus "hybride Technologie" will die Autorin "Verknüpfungen zwischen den Feldern der Human- und Technowissenschaften, der Geschlechter- und Wissenschaftsforschung" sowie "transdisziplinäre Überschreitungen in den Technowissenschaften" erreichen.

Dem mit feministischer Wissenschaftsforschung verwandten Gebiet der feministischen Epistemologie wendet sich die in Cambridge und Wien tätige Wissenschaftstheoretikerin Mona Singer zu, wobei sie Erkenntnistheorie mit Gesellschaftstheorie und Erkenntniskritik mit Gesellschaftskritik verbinden möchte. Allerdings fällt sie hinter die von Waltraud Ernst in ihrem Buch "Diskurspiratinnen" (Vgl. die Rezension in literaturkritik.de 7-8/2000) entworfene Erkenntnistheorie zurück, in der die ebenfalls in Wien lehrende Philosophin die "Vorgabe aperspektivischer Objektivität" überzeugend dekonstruiert und eine von Objektivitätskriterien freie Erkenntnistheorie entwirft. Singer hält hingegen daran fest, dass Epistemologie "wissenschaftliche Objektivitätsansprüche begründen" solle. Allerdings, so betont sie, genüge das nicht. Feministische Erkenntnistheorie müsse darüber hinaus "ethisch und politisch orientiert" sein. Dass eine solche Ethik ihrer Auffassung nach nur normativ sein kann, wird deutlich, wenn sie moniert, dass sich "postmoderne epistemologische Positionen" in "normativer Enthaltsamkeit" üben.

In weiteren Beiträgen untersuchen Angelika Saupe die Gen- und Reproduktionstechnologie aus gesellschaftstheoretischer Perspektive, Irene Dölling den Geschlechtervertrag und die Geschlechterarrangements in Ostdeutschland und Angelika Wetterer das "Verschwinden der Ungleichheit aus dem zeitgenössischen Differenzwissen". Gudrun-Axeli Knapp schließlich hebt die "spezifische Produktivität" der "aporetischen" feministischen Diskurskonstellation hervor. Die "strukturelle Aporie" des feministischen Diskurses liege in der "Unverzichtbarkeit und gleichzeitigen Unmöglichkeit einer fundierenden Bezugnahme auf ein epistemisches und politisches Referenzsubjekt". Ihr Lösungsvorschlag lautet, dass das "notwendig vage 'Wir' des feministischen Diskurses" "den Horizont einer politisierten Zuwendung zum eigenen Geschlecht formuliert, die sich aus Widerstand speist". Ein Vorschlag, der überzeugen könnte, bliebe das theoretische Moment bei der Bestimmung des "vergemeinschaftende[n] 'Wir'" nicht außen vor und würde neben einem politischen Kriterium nicht auch ein biologisches herangezogen. So recht wohl scheint sich die Autorin hierbei allerdings auch nicht zu fühlen. Denn an anderer Stelle erklärt sie, es sei "prinzipiell" auch für Männer möglich, sich "pro-feministisch zu engagieren". Das scheint zwar die Relevanz des biologischen Kriteriums zu relativieren, unterstreicht dessen Bedeutung jedoch noch einmal. Ist es Männer doch nur möglich, sich pro-feministisch - also im Sinne des Feminismus zu engagieren, nicht aber genuin feministisch. Mag es auch überzogen sein, sich an Kants geschlechtsspezifische Unterscheidung zwischen dem Handeln aus Moral, das Männer vorbehalten ist, und dem bloß moralgemäßen Handeln, über das Frauen qua Geschlecht nicht hinaus kommen können, erinnert zu fühlen, so bleiben Knapp zufolge Feminismus und feministisches Engagement doch allein dem weiblichen Geschlecht vorbehalten. Zur Bestimmung des "vergemeinschaftende[n] 'Wir'" der Frauenbewegung würde ihr Vorschlag wohl geeignet sein, zur Bestimmung des "vergemeinschaftenden 'Wirs'" der Beteiligten am feministischen Diskurs ist er es hingegen wohl kaum.

Titelbild

Gudrun-Axeli Knapp / Angelika Wetterer (Hg.): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II.
Herausgegeben von Gudrun A. Knapp, Angelika Wetterer.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2003.
320 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 389691216X

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